Spitzengardinen, die Türschwelle schimmerte weiß, und die
Türklinke glä nzte. Eine große, grimmig aussehende Frau in
einem schwarzen Kleid öffnete. Sie betrachtete Lucy
argwöhnisch, als sie sie einließ.
Miss Marple bewohnte das nach hinten gelegene Wohnzimmer,
das fast übertrieben sauber und reich an Brücken
und Deckchen war. Miss Marple saß in einem großen Sessel
am Kamin und häkelte eifrig.
Lucy schloß hinter sich die Tür. Dann setzte sie sich Miss
Marple gegenüber auf einen Stuhl.
«Es sieht so aus, als hätten Sie recht», sagte sie.
Sie holte ihre Funde aus der Tasche und berichtete, wie
sie darauf gestoßen war.
Miss Marple errötete leicht.
47
«Vielleicht ist es nicht richtig», sagte sie, «aber man fühlt
sich doch eigentümlich befriedigt, wenn man einen Beweis
dafür erhält, daß man sich nicht geirrt hat.»
Sie befühlte den kleinen Fetzen Pelz. «Elsbeth sagte, die
Frau habe einen ziemlich hellen Pelzmantel getragen. Die
Puderdose, vermute ich, war in der Tasche des Mantels, fiel
aus irgendeinem Grund heraus und rollte den Damm hinunter.
Es läßt sich daraus wohl kaum viel schließen, aber es ist
doch immerhin etwas. Sie haben nicht den ganzen Pelzfetzen
genommen?»
«Nein, die andere Hälfte ließ ich auf dem Dorn.»
Miss Marple nickte beifällig.
«Ganz richtig. Sie sind sehr intelligent, meine Liebe. Die
Polizei wird Ihre Aussage überprüfen wollen.»
«Wollen Sie mit diesen Funden zur Polizei gehen?»
«Wohl noch nicht. . .» Miss Marple überlegte: «Ich
denke, es wäre besser, wir fänden zuerst die Leiche. Sind Sie
nicht auch der Meinung?»
«Schon; aber ist das nicht etwas viel verlangt? Ich meine,
vorausgesetzt natürlich, daß Ihre Vermutung richtig ist. Der
Mörder stieß den Körper aus dem Zug, dann verließ er den
Zug vermutlich in Brackhampton, und irgendwann – wahrscheinlich
noch in derselben Nacht – kehrte er zurück und
entfernte die Leiche. Aber was geschah dann? Er muß sie
doch irgendwohin gebracht haben.»
«Nicht irgendwohin», sagte Miss Marple. «Mir scheint,
Sie haben die Sache nicht logisch durchdacht, meine liebe
Miss Eyelesbarrow.»
«Nennen Sie mich Lucy. Weshalb nicht irgendwohin?»
«In dem Fall hätte er das Mädchen an einem einsamen
Ort getötet und die Leiche in seinem Wagen fortgeschafft.
Das wäre viel einfacher gewesen.»
Lucy unterbrach sie: «Wollen Sie damit sagen, es sei ein
geplantes Verbrechen gewesen?»
48
«Anfangs war ich nicht dieser Meinung», erwiderte Miss
Marple. «Ich kam gar nicht auf den Gedanken. Alles sah so
aus, als sei ein Streit vorausgegangen, als habe der Mann die
Beherrschung verloren, das Mädchen erdrosselt und sich
dann dem Problem gegenübergesehen, was er mit seinem
Opfer machen solle – einem Problem, das innerhalb weniger
Minuten gelöst werden mußte. Aber es wäre doch mehr als
ein Zufall gewesen, wenn er das Mädchen in einem
Wutanfall getötet, dann aus dem Fenster geblickt und die
Entdekkung gemacht hätte, daß in diesem Augenblick der
Zug in eine Kurve einbog und ihm so die Möglichkeit gab,
sich der Toten genau an der Stelle zu entledigen, wo er sie
nicht nur aus dem Zug befördern, sondern auch später
wiederfinden und entfernen konnte! Hätte er die Leiche rein
zufällig gerade dort hinausgeworfen, dann hätte er nichts
weiter getan, und sie wäre längst gefunden worden.»
Sie schwieg. Lucy starrte sie an. Nach einer kurzen Weile
fuhr Miss Marple nachdenklich fort:
«Ich muß gestehen, es war ein außerordentlich schlau geplantes
Verbrechen. Es muß sehr sorgfältig vorbereitet worden
sein. Ein Zug hat etwas Anonymes an sich. Hätte er die
Frau getötet, wo sie wohnte oder sich aufhielt, dann hätte
jemand ihn sehen können, als er kam oder ging. Wäre er mit
ihr irgendwohin aufs Land hinausgefahren, dann hätte sich
jemand die Nummer und den Typ des Wagens merken können.
Ein Zug aber ist voll von Fremden, die kommen und
gehen. In einem Wagen ohne Durchgang, allein mit ihr, war
die Sache ganz einfach – besonders, wenn man bedenkt, daß
er alles Weitere genau geplant hatte. Er kannte Rutherford
Hall. Er muß es gekannt haben. Er muß gewußt haben, daß
es merkwürdig isoliert liegt, gewissermaßen wie eine Insel,
eingeschlossen von Eisenbahnlinien.»
«Genauso ist es», sagte Lucy. «Rutherford Hall ist ein
Anachronismus. Reges städtisches Leben umbrandet es
49
ringsum, berührt es aber nicht. Die Lieferanten bringen am
frühen Morgen ihre Sachen, und das ist alles.»
«Wir nehmen also an, der Mörder kam noch in derselben