nächsten Augenblick war das hell erleuchtete Abteil aus ihrem
Blickfeld verschwunden.
Mrs. McGillicuddy war wie gelähmt vor Grauen über
das, was sie gerade gesehen hatte. Sie maßte sofort etwas
tun. Aber was?
Die Abteiltür wurde aufgeschoben.
«Fahrkarte, bitte!»
Mrs. McGillicuddy fuhr heftig herum.
«Eine Frau wurde erdrosselt», sagte sie. «In dem Zug, der
uns gerade überholt hat. Ich hab es gesehen.»
Der Schaffner blickte sie an, als habe er nicht recht
gehört.
«Wie? Was sagen Sie?»
«Ein Mann hat eine Frau erdrosselt! In einem Zug. Ich
sah es, als ich durch das Fenster blickte.»
8
Der Schaffner betrachtete sie mißtrauisch.
«Erdrosselt?» fragte er ungläubig.
«Ja, er hat sie erdrosselt! Ich sage Ihnen doch, ich habe es
gesehen. Sie müssen sofort etwas unternehmen!»
Der Schaffner hüstelte verlegen.
«Glauben Sie nicht, Madam, Sie sind vielleicht etwas
eingenickt und -» Er brach taktvoll ab.
«Ich habe vorhin ein Nickerchen gemacht, aber wenn Sie
denken, es war ein Traum, dann irren Sie sich gründlich. Ich
habe es gesehen, hören Sie? Gesehen! Ich blickte in das
Fenster des Zuges neben unserem, wo ein Mann eine Frau
erdrosselte. Ich frage Sie nun: Was gedenken Sie in dieser
Sache zu tun?»
«Ich – tja -»
«Aber etwas werden Sie doch wohl tun, oder?»
Der Schaffner seufzte und blickte auf seine Uhr.
«In genau sieben Minuten sind wir in Brackhampton. Ich
werde berichten, was Sie mir erzählt haben. In welcher Richtung
fuhr der Zug, von dem Sie sprechen?»
«Natürlich in dieselbe Richtung wie wir. Sie glauben
doch wohl nicht, ich hätte das alles sehen können, wenn ein
Zug in der entgegengesetzten Richtung vorübergeflitzt
wäre?»
Der Schaffner machte ein Gesicht, als hielte er Mrs.
McGillicuddy durchaus für fähig, alles mögliche zu sehen,
was ihr die Phantasie gerade eingab. Aber er blieb höflich.
«Sie können sich auf mich verlassen, Madam», beruhigte
er sie. «Ich werde melden, was Sie berichtet haben.
Vielleicht dürfte ich Sie um Ihren Namen und um Ihre
Adresse bitten für den Fall. . .»
Mrs. McGillicuddy nannte ihm die Adresse ihrer
Freundin, bei der sie die nächsten Tage wohnen würde, und
ihre ständige Adresse in Schottland. Er schrieb beide auf und
9
verschwand dann mit der Miene eines Mannes, der seine
Pflicht getan hat.
Mrs. McGillicuddy runzelte die Stirn. Sie war nicht recht
zufrieden. Ob der Schaffner auch wirklich melden würde,
was sie ihm berichtet hatte? Oder wollte er sie bloß beruhigen?
Der Zug fuhr jetzt langsamer, und vor dem Fenster tauchten
die hellen Lichter einer größeren Stadt auf.
Mrs. McGillicuddy öffnete ihre Handtasche, nahm, da sie
nichts Besseres fand, eine quittierte Rechnung heraus,
schrieb mit ihrem Kugelschreiber schnell ein paar Worte auf
die Rückseite, steckte die Rechnung dann in einen
Umschlag, den sie zufälligerweise bei sich hatte, schloß ihn
und schrieb etwas darauf.
Der Zug fuhr langsam an einem Bahnsteig voller Menschen
entlang. Mrs. McGillicuddy ließ nervös ihren Blick
über den Bahnsteig schweifen. So viele Reisende und so
wenige Gepäckträger! Dort war einer! Sie rief ihn
gebieterisch heran.
«Gepäckträger! Bitte bringen Sie diesen Brief sofort dem
Bahnhofsvorsteher!»
Sie reichte ihm das Kuvert und einen Shilling.
Mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück. Was sie hatte
tun können, hatte sie getan. Einen Augenblick lang dachte
sie mit flüchtigem Bedauern an den Shilling. Ein halber
wäre wirklich genug gewesen…
Ihre Gedanken kehrten zu der Szene zurück, die sie beobachtet
hatte. Grauenhaft! Ganz grauenhaft! Sie schauderte.
Wie seltsam, wie phantastisch! Und daß so etwas gerade ihr,
Elsbeth McGillicuddy, hatte passieren müssen! Wenn das
Rouleau des Abteils nicht zufällig in die Höhe geschnellt
wäre… Aber das war natürlich ein Werk der Vorsehung.
Man hörte Reisende und Zurückbleibende sich dies und
das zurufen, dann ertönte ein schriller Pfiff, und die Wagen-
10
türen wurden zugeworfen. Der Zug rollte langsam aus dem
Bahnhof Brackhampton hinaus. Eine Stunde und fünf Minuten
später hielt er in Milchester.
Mrs. McGillicuddy ergriff ihre Pakete und ihren
Handkoffer und stieg aus. Suchend blickte sie den Bahnsteig
hinauf und hinunter, bis es ihr endlich gelang, einen
Gepäckträger herbeizuwinken.
Vor dem Bahnhof näherte sich ihr ein Taxichauffeur, der
den Ausgang beobachtete.
«Mrs. McGillicuddy?» fragte er. Kurerden Sie in St.
Mary Mead erwartet?»
Mrs. McGillicuddy bejahte das. Während der ganzen fünf
Kilometer langen Fahrt saß Mrs. McGillicuddy kerzengerade
auf ihrem Sitz, außerstande, sich zu entspannen. Endlich