zu tragen. Würden Sie den Braten übernehmen, Mr. Eastley?
Ich bringe die Kartoffeln und den Yorkshire-Pudding.»
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Mr. Wimborne stand in der Halle und zog sich die Handschuhe
an, als Emma schnell die Treppe herunterkam.
«Möchten Sie wirklich nicht zum Lunch bleiben, Mr.
Wienborne? Wir wollen gerade essen.»
«Nein, danke. Ich habe eine wichtige Verabredung in
London. Der Zug führt einen Speisewagen.»
«Es war sehr freundlich von Ihnen, daß Sie gekommen
sind», sagte Emma noch einmal dankbar.
Die beiden Polizeibeamten traten aus der Bibliothek.
Mr. Wienborne ergriff Emmas Hand.
«Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Miss Crackenthorpe
», redete er ihr gut zu. «Das hier ist Inspektor
Craddock von New Scotland Yard, der den Fall übernehmen
wird. Er kommt nachher wieder und möchte dann einige
Fragen an Sie richten. Vielleicht erhält er dadurch
Anhaltspunkte für seine Untersuchung. Aber, wie gesagt, Sie
brauchen sich keine Sorgen zu machen.» Er blickte
Craddock fragend an: «Darf ich Miss Crackenthorpe
gegenüber wiederholen, was Sie mir gesagt haben?»
«Selbstverständlich.»
«Inspektor Craddock meinte, es handle sich beinahe
sicher um ein Verbrechen, das außerhalb der Kompetenz der
Ortspolizei liegt. Die ermordete Frau soll aus London
gekommen sein und war wahrscheinlich eine Ausländerin.»
Emma Crackenthorpe fragte schnell:
«Eine Ausländerin? Eine Französin?»
Mr. Wimborne hatte seine Bemerkung nur gemacht, um
Emma zu beruhigen. Die Reaktion überraschte ihn deshalb.
Craddock warf einen schnellen Blick auf Emmas Gesicht.
Erfragte sich, wie sie plötzlich zu dem Schluß gelangt
sein könnte, die Ermordete sei eine Französin gewesen, und
warum dieser Gedanke sie beunruhigte.
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Die einzigen, die Lucys ausgezeichnetes Essen wirklich
zu würdigen wußten und tüchtig zulangten, waren die beiden
Jungen und Cedric Crackenthorpe, den die Umstände, die
seine Rückkehr nach England veranlaßt hatten, nicht zu berühren
schienen. Er machte den Eindruck, als nehme er die
ganze Sache nicht richtig ernst.
Diese Haltung, dachte Lucy, war seinem Bruder Harold
offenbar höchst zuwider. Er selber schien den Mord als eine
Art persönliche Beleidigung der Familie Crackenthorpe aufzufassen
und war darüber so empört, daß er kaum etwas aß.
Auch Emma aß nur sehr wenig. Sie schien besorgt und unglücklich
zu sein. Alfred war in Gedanken versunken und
sprach sehr wenig. Er sah recht gut aus, hatte ein schmales,
dunkles Gesicht und ziemlich engstehende Augen.
Nach dem Lunch kamen die Polizeibeamten zurück und
fragten höflich, ob sie mit Mr. Cedric Crackenthorpe sprechen
könnten.
Inspektor Craddock forderte ihn auf, Platz zu nehmen.
«Wie ich höre, Mr. Crackenthorpe, sind Sie gerade von
den Balearen- zurückgekehrt?» begann er. «Sie leben dort,
nicht wahr?»
«Ja. Seit sechs Jahren. Auf Ibiza. Gefällt mir besser als
dieses trübsinnige Land.»
«Zweifellos haben Sie dort sehr viel mehr Sonnenschein
als wir hier», sagte Inspektor Craddock zustimmend. «Wie
ich höre, sind Sie unlängst schon einmal in der Heimat
gewesen. Genauer gesagt: zu Weihnachten. Warum hielten
Sie es für notwendig, nach so kurzer Zeit abermals die doch
ziemlich weite Reise zu machen?»
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«Ich bekam ein Telegramm von meiner Schwester
Emma», erwiderte Cedric. «Wir haben hier noch nie einen
Mord gehabt. Ich wollte nicht gern etwas versäumen.
Deshalb kam ich.»
«Interessen Sie sich für Kriminologie?»
«Wozu diese hochtrabende Bezeichnung? Ich interessiere
mich ganz einfach für Mordgeschichten mit dem Problem
ich nun hörte, es sei sozusagen vor der Haustür der Familie
etwas dergleichen passiert, da sagte ich mir, eine solche
Chance würde ich wahrscheinlich im ganzen Leben nicht
wieder kriegen. Übrigens dachte ich auch, daß die arme
Emma vielleicht etwas Hilfe brauche, wo sie jetzt nicht bloß
für den alten Mann zu sorgen hat, sondern auch noch mit der
Polizei und all dem übrigen fertig werden muß.»
«Ich verstehe. Sie witterten Nahrung für Ihre Sensationslust
und fühlten gleichzeitig ihren Familiensinn angesprochen.
Sicher wird Ihre Schwester Ihnen sehr dankbar sein,
obwohl ja auch Ihre beiden andern Brüder gekommen sind,
um ihr zur Seite zu stehen.»
«Die werden sie wenig aufheitern und trösten können»,
wandte Cedric ein. «Harold ist ganz außer Fassung. Sich mit
der Ermordung eines zweifelhaften Frauenzimmers befassen
zu müssen ist nichts für einen Gentleman, der in der City
eine Rolle spielt.»
Craddock zog leicht die Augenbrauen hoch.
«War sie ein zweifelhaftes Frauenzimmer?»
«Nun, das vermögen Sie besser zu beurteilen. In Anbetracht
der Tatsachen hielt ich es wahrscheinlich.»