Padington by Agatha Christie

«Was kann ich für Sie tun, Inspektor?»

«Dieser Brief…» Craddock le gte Martines Brief auf den

Schreibtisch. Mr. Wimborne berührte ihn mit offenbarem

Widerstreben. Seine rote Gesichtsfarbe vertiefte sich ein wenig,

und sein Mund straffte sich.

«Ganz recht», sagte er. «Ich erhielt gestern morgen einen

Brief von Miss Emma Crackenthorpe, in dem sie mich über

ihren Besuch bei Scotland Yard in allen Einzelheiten unterrichtete.

Ich muß gestehen, daß ich nicht begreife, ganz und

gar nicht begreife, warum man mich damals nicht gleich

konsultiert hat, als dieser Brief eintraf. Ich hatte keine Ahnung,

daß jemals davon die Rede gewesen war, Edmund

Crackenthorpe habe geheiratet>, sagte Mr. Wimbome mit

einem beleidigten Gesicht.

Inspektor Craddock wies darauf hin, daß Krieg gewesen

sei.

«Natürlich», bestätigte Mr. Wimborne. «Mein Vater

vertrat damals die Interessen der Familie Crackenthorpe. Er

starb vor sechs Jahren. Es ist möglich, daß er etwas von der

sogenannten Eheschließung Edmunds erfuhr, aber ich habe

den Eindruck, daß sie niemals stattgefunden hat, und mein

Vater hielt es daher auch nicht für nötig, mit mir darüber zu

sprechen. Mir kommt die ganze Geschichte sehr faul vor. Ich

finde es höchst seltsam, daß die sogenannte Witwe nach all

diesen Jahren sich plötzlich meldet und behauptet, einen

legitimen Sohn von Edmund zu haben. Ich möchte gern

wissen, wie sie das beweisen will.»

141

«Ganz recht>, stimmte Craddock zu. «Wie aber wäre die

Lage, wenn sie den Nachweis führen könnte, daß sie tatsächlich

Edmund geheiratet und einen legitimen Sohn von ihm

hat? Worauf hätten sie und der Sohn dann Anspruch?»

«Nun», erwiderte Mr. Wimborne, «im Augenblick könnte

sie nichts verlangen. Wenn der Sohn aber tatsächlich Edmunds

legitimer Sohn wäre, dann hätte er Anspruch auf

einen Anteil von der Hinterlassenschaft Luther Crackenthorpes

nach dessen Tod. Überdies würde er Rutherford Hall

erben, da er in diesem Fall der Sohn des ältesten Sohnes

wäre.»

«Würde eines der andern Kinder Luther Crackenthorpes

gern das Haus erben?»

«Um darin zu wohnen? Sicher nicht. Aber der Grund und

Boden hat einen ganz beträchtlichen Wert. Es ist kostbares

Bauland. Es liegt jetzt mitten im Herzen von

Brackhampton.»

«Wenn ich nicht irre, sagten Sie, nach Luther Crackenthorpes

Tod würde Cedric es erben?»

«Ganz recht, da er der älteste lebende Sohn ist.»

«Soviel ich höre, ist Cedric Crackenthorpe an Geld nicht

sonderlich interessiert.»

«Wirklich? Ich selber bin geneigt, Behauptungen dieser

Art nicht für bare Münze zu nehmen. Es mag Menschen

geben, die dem Geld gegenüber gleichgültig sind. Ich selber

habe aber noch nie einen getroffen.»

«Wie mir scheint>, fuhr Inspektor Craddock nach einer

kurzen Pause fort, «waren Harold und Alfred Crackenthorpe

sehr erregt, als der bewußte Brief kam?»

«Dazu hatten sie auch allen Grund», entgegnete Mr.

Wimborne.

«Ihr eigener Anteil würde beträchtlich geringer ausfallen,

nicht wahr?»

142

«Gewiß. Edmund Crackenthorpes Sohn würde auf ein

Fünftel des Bargelds Anspruch haben.»

«Das ist wohl kein sehr erheblicher Verlust?»

Mr. Wimborne sah dem Inspektor fest in die Augen.

«Es ist durchaus kein angemessenes Motiv für einen

Mord, wenn Sie das meinen.»

«Aber die Brüder sind beide, wie ich vermute, in einer

gewissen Bedrängnis», murmelte Craddock.

«Die Polizei hat also Nachforschungen angestellt? Ja, es

ist richtig, Alfred ist fast dauernd knapp an Bargeld.

Gelegentlich kommt eine größere Summe herein, aber sie

reicht nicht sehr weit. Harold andrerseits ist, wie Sie

erfahren zu haben scheinen, gegenwärtig in einer etwas

schwierigen Lage.»

«Trotz seines anscheinend gefestigten Wohlstandes?»

«Dieser Wohlstand ist nur Fassade. Die meisten dieser

City-Konzerne sind sich nicht einmal über ihre augenblickliche

Zahlungsfähigkeit im klaren. Die Bilanzen mögen dem

Nichteingeweihten großartig erscheinen; wenn aber die aufgeführten

Aktivposten in Wirklichkeit gar keine Aktivposten

sind – was dann?»

«Harold Crackenthorpe braucht also dringend Geld?»

«Das wohl», erwiderte Mr. Wimborne. «Er würde es aber

nicht dadurch bekommen, daß er die Witwe seines

verstorbenen Bruders erdrosselt. Und niemand hat Luther

Crackenthorpe ermordet, obwohl allein sein Tod den

Familienmitglie dern Nutzen bringen würde. Ich sehe also

wirklich nicht, Inspektor, worauf Sie eigentlich

hinauswollen?»

Unglücklicherweise wußte der Inspektor das selber nicht

so recht.

143

15

Inspektor Craddock und Wetherall hatten mit Harold eine

Besprechung in seinem Büro vereinbart.

Ein junges Mädchen führte den Inspektor und seinen Begleiter

in das Privatbüro ihres Chefs.

Harold saß hinter seinem Schreibtisch und sah so

untadelig und selbstbewußt aus wie nur je. Wenn er, wie der

Pages: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Leave a Reply 0

Your email address will not be published. Required fields are marked *