-in einem Mordfall. Puls, Temperatur, örtliche Reaktionen,
möglicherweise tief sitzende Ursache besagten Mordes.»
Miss Marple zwinkerte ihm zu.
Er grinste.
Lucy Eyelesbarrow lächelte verwundert.
«Sieh einer an, Inspektor Craddock – Sie sind also
tatsächlich auch nur ein Mensch?»
«Ich bin ja heute nachmittag schließlich nicht amtlich
hier.»
«Wie ich Ihnen sagte, kannten wir uns schon», bemerkte
Miss Marple zu Lucy. «Sir Henry Clithering, sein Pate, ist
ein alter Freund von mir.»
«Möchten Sie hören, Miss Eyelesbarrow, was mein Pate
einmal über sie gesagt hat? Er nannte sie den gerissensten
Detektiv, den Gott jemals geschaffen habe, ein natürliches
Genie, das sich in einem günstigen Boden entwickelt. Er
sagte, ich solle niemals die älteren Damen verachten. Sie
könnten einem oft sagen, was hätte geschehen können, was
hätte geschehen müssen, und sogar, was tatsächlich gesche-
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hen sei. Und sie könnten sagen, warum es geschehen sei.
Dann fügte er noch hinzu, diese besondere ältere Dame, von
der die Rede sei, gehöre zur Spitzenklasse.»
«Alle Wetter!» staunte Lucy. «Das ist ein Zeugnis, das
sich sehen lassen kann!»
Miss Marple war rot und sehr verwirrt geworden.
«Der liebe Sir Henry», murmelte sie. «Er war immer so
gütig. In Wahrheit bin ich gar nicht klug, wenn ich auch
vielleicht ein wenig Kenntnis der menschlichen Natur besitze;
das kommt vom Dorfleben!»
Nach kurzer Pause fuhr sie fort:
«Natürlich bin ich etwas im Nachteil, weil ich mich nicht
auf dem Schauplatz befinde. Aber es hilft doch viel, wenn
man Leute kennenlernt, die einen an andere Leute erinnern.
Die Typen sind nämlich überall gleich, und so bekommt
man wertvolle Fingerzeige.»
Lucy schien nicht recht zu begreifen, was sie meinte,
Craddock aber verstand Miss Marple. Er nickte:
«Sie sind doch zum Tee dort gewesen, nicht wahr?»
erkundigte er sich.
«ja, und es war sehr interessant. Ich war nur etwas enttäuscht,
weil ich den alten Mr. Crackenthorpe nicht zu sehen
bekam. Aber man kann ja nicht alles verlangen.»
«Haben Sie das Gefühl, daß Sie, wenn Sie den Menschen
sähen, der den Mord begangen hat, es wissen würden?»
fragte Lucy.
«Das wäre zuviel gesagt, meine Liebe. Man ist immer geneigt,
sich aufs Raten zu verlegen, und bei einer so ernsten
Sache wie Mord wäre es falsch und gefährlich, wollte man
anfangen zu raten. Alles, was man tun kann, ist, die betreffenden
Leute zu beobachten, ich meine die Leute, die in
Frage kommen könnten, und sich dann zu fragen, ob sie
einen an jemand andern erinnern.»
Lucy sagte etwas beunruhigt:
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.Glauben Sie nicht auch, sie hätten nicht sagen sollen,
was Sie über Emmas Ehechancen dachten? Es schien die
Brüder ein wenig aus der Fassung zu bringen.»
Miss Marple nickte.
«Ja», sagte sie. «So sind die Männer. Sie sehen nicht, was
vor ihren Augen geschieht. Aber ich glaube, auch Sie haben
es nicht gemerkt.»
«Nein», gestand Lucy. «Ich wäre nie auf einen solchen
Gedanken gekommen. Sie schienen mir beide -»
«Schon zu alt?» ergänzte Miss Marple lächelnd. «Aber
Dr. Quimper ist nicht viel über vierzig, denke ich, obschon
seine Schläfen anfangen grau zu werden, und es ist leicht zu
sehen, daß er sich nach einem häuslichen Leben sehnt.
Emma Crackenthorpe auf der anderen Seite ist unter vierzig,
also noch nicht zu alt, um zu heiraten und eine Familie zu
haben. Wie ich hörte, starb die Frau des Arztes sehr jung im
Kindbett.»
«Ja, ich glaube, das ist richtig. Emma sagte eines Tages
so etwas.»
« Er muß sehr einsam sein», meinte Miss Marple. «Ein
tüchtiger Arzt, der viel zu tun hat, braucht eine Frau, die
Verständnis für ihn hat und nicht zu jung ist.»
«Aber sagen Sie, Miss Marple», unterbrach Lucy,
«versuchen wir eigentlich ein Verbrechen aufzuklären, oder
wollen wir eine Ehe stiften?»
Miss Marple blinzelte.
«Ich fürchte, ich bin etwas romantisch veranlagt.
Vielle icht liegt es daran, daß ich eine alte Jungfer bin. Hören
Sie, liebe Lucy, soweit es mich betrifft, haben Sie Ihren
Auftrag ausgeführt. Wenn Sie wirklich etwas Ferien haben
wollen, bevor Sie die nächste Verpflichtung übernehmen,
dann hätten Sie jetzt noch Zeit genug für eine kleine Reise.»
«Rutherford Hall verlassen? Niemals! Ich habe mich in
einen echten Spürhund verwandelt und bin fast ebenso eifrig
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wie die Jungen. Sie verbringen ihre ganze Zeit damit, nach
Spuren und Indizien zu suchen. Gestern haben sie alle Müllkästen