etwas ist schon öfter vorgekommen. Ein elender Pilz mischt
sich unter die andern, und schon ist es geschehen. Niemand
weiß es im voraus. Sie sind ein braves Mädchen. Sie würden
es niemals mit Absicht tun. Wie geht es Emma?»
«Sie fühlt sich heute nachmittag etwas besser.»
«Und Harold?»
«Auch besser.»
«Wie ist das? Alfred ist abgekratzt?»
«Niemand hätte Ihnen das erzählen sollen, Mr. Crackenthorpe.
»
Mr. Crackenthorpe lachte. Es war ein wieherndes, höchst
amüsiertes Lachen.
«Ich höre alles. Sie können vor dem alten Mann nichts
verbergen, aber sie versuchen es. Alfred ist also tot? Nun
kann er mich wenigstens nicht mehr auspressen, und er
bekommt auch nichts von dem Geld. Sie warten alle darauf,
daß ich sterbe. Alfred hat ganz besonders darauf gelauert.
Jetzt ist er tot. Mir scheint, das ist ein guter Witz.»
«Sie sollten nicht so sprechen, Mr. Crackenthorpe», sagte
Lucy ernst. «Das ist nicht schön von Ihnen.»
Mr. Crackenthorpe lachte wieder.
«Ich werde sie alle überleben», krähte er. «Sie werden es
sehen, Lucy. Sie werden sehen!»
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Lucy ging in ihr Zimmer, nahm das Wörterbuch und las,
was da über das Wort «Tontine» stand. Nachdenklich schloß
sie das Buch und blickte starr vor sich hin.
«Ich begreife nicht, weshalb Sie mich sprechen wollen»,
sagte Dr. Morris irritiert.
«Sie haben die Familie Crackenthorpe lange gekannt»,
sagte Inspektor Craddock.
«ja, ich kannte alle Crackenthorpes. Ich erinnere mich
noch gut an den alten Josiah. Er war ein großer Geizhals,
aber ein schlauer Mann. Er machte eine Menge Geld.» Er
blickte unter seinen buschigen Augenbrauen Inspektor
Craddock forschend an. «Sie haben also auf Quimper, diesen
Narren, gehört>, sagte er. «Diese eifrigen jungen Ärzte! Was
die alles für Ideen haben! Quimper hat es sich in den Kopf
gesetzt, jemand habe den Versuch gemacht, Luther
Crackenthorpe zu vergiften. Blödsinn! Gewiß, er hatte
Verdauungstörungen. Ich behandelte sie. Die Anfälle waren
nicht häufig, und es war nichts Besonderes an ihnen.»
«Dr. Quimper schien anderer Meinung zu sein»,
erwiderte Craddock.
«Anderer Meinung?» wiederholte Dr. Morris ärgerlich.
«Ich sollte doch wohl eine Arsenikvergifiung erkennen,
wenn ich sie sehe.»
«Viele sehr bekannte Ärzte haben sie nicht erkannt», betonte
Craddock. «Wiederholt wurden Leute ordnungsgemäß
begraben, ohne daß die Ärzte, die sie behandelt hatten, auch
nur einen Augenblick auf den Gedanken gekommen wären,
sie könnten vergiftet worden sein. Und es waren alles angesehene
Ärzte.»
«All right», sagte Dr. Morris. «Sie sagen also, ich hätte
mich irren können. Nun, ich bin nicht der Meinung, daß ich
mich geirrt habe.» Er schwieg einen Augenblick und fuhr
dann fort: «Wer sollte es denn Quimpers Meinung nach
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getan haben – wenn es sich wirklich um eine
Arsenikvergiftung handelt?»
«Das weiß er nicht», erwiderte Craddock. «Aber er macht
sich seine Gedanken. Schließlich ist doch sehr viel Geld vorhanden.
»
«Ja, ich weiß. Und sie bekommen es erst, wenn Luther
Crackenthorpe gestorben ist. Und sie brauchen es alle sehr
nötig. Das ist richtig, aber daraus folgt doch nicht, daß sie
den alten Mann umbringen wollen, um an das Geld
heranzukommen.»
«Nicht unbedingt», stimmte Inspektor Craddock zu.
«Jedenfalls», sagte Dr. Morris, «ist es mein Grundsatz,
nie ohne hinreichenden Grund einen Verdacht zu äußern. Ich
gebe zu, daß das, was Sie mir eben erzählt haben, mich
etwas erschüttert hat. Anscheinend Arsenik in großem
Maßstab. Aber ich sehe noch immer nicht ein, weshalb Sie
zu mir gekommen sind. Alles, was ich sagen kann, ist, daß
ich diesen Verdacht nicht hatte. Vielleicht hätte ich
argwöhnisch sein sollen. Vielleicht hätte ich die
Verdauungsstörungen Luther Crackenthorpes ernster
nehmen müssen. Aber das liegt nun lange zurück.»
«Gewiß», räumte Craddock ein. «Was ich von Ihnen
möchte, ist, daß Sie mir etwas mehr über die Familie Crackenthorpe
erzählen. Finden sich in ihr irgendwelche Anzeichen
von Geistesstörungen, irgendwelche Absonderlichkeiten?
»
«Ich wundere mich nicht, daß Sie diese Frage stellen»,
erwiderte Dr. Morris. «Nun, der alte Josiah war geistig
völlig gesund. Seine Frau war neurotisch, neigte zur
Schwermut. Sie starb bald nach der Geburt ihres zweiten
Sohnes. Ich möchte sagen, Luther erbte von ihr eine gewisse
Unstetig keit. Als junger Mann war er wie alle, aber er stritt
sich dauernd mit seinem Vater. Sein Vater fühlte sich
enttäuscht, und ich denke, Luther litt darunter und grübelte
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darüber nach, bis es zu einer Art Besessenheit wurde. Das