Padington by Agatha Christie

den beiden ungeheuren Spaß mache, Detektiv zu spielen. Es

wäre grausam, wollte man sie dieses Vergnügens berauben.

Ich gab schließlich nach und erklärte mich einverstanden,

daß sie hier blieben, bis sie verabredetermaßen beide zu uns

kämen, um bei uns die letzten Ferientage zu verleben.»

Emma unterbrach sie: «Sind Sie der Meinung, wir hätten

Ihren Sohn früher fortschicken müssen?»

«Nein, nein! Das wollte ich nicht sagen. Es fällt mir sehr

schwer, mit Ihnen über gewisse Dinge zu sprechen, aber was

ich Ihnen zu sagen habe, muß gesagt werden. Die Jungen

haben eine ganze Menge in Erfahrung gebracht. Vieles

haben sie auch aufgeschnappt. Sie erzählten mir, die Polizei

sei der Meinung, die ermordete Frau sei eine Französin

gewesen, die Ihr ältester Bruder, der im Krieg fiel, in

Frankreich kennengelernt hatte. Ist das richtig?»

«Es besteht die Möglichkeit>, erwiderte Emma.

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«Haben Sie einen bestimmten Grund zu glauben, die Leiche,

die im Sarkophag gefunden wurde, sei diese Martine?»

«Wie ich Ihnen sagte, besteht die Möglichkeit.»

«Aber warum glaubt die Polizei denn, sie sei es? Hatte

die Tote Briefe bei sich oder Papiere?»

«Nein. Nichts dergleichen. Aber Sie müssen wissen, daß

ich von dieser Martine einen Brief bekam.»

«Sie bekamen einen Brief – von Martine?»

«Ja. Sie schrieb, sie sei jetzt in England und wolle mich

besuchen. Daraufhin lud ich sie ein, herzukommen. Aber

dann schickte sie ein Telegramm, in dem es hieß, sie müsse

nach Frankreich zurückkehren. Vielleicht kehrte sie tatsächlich

nach Frankreich zurück – wir wissen es nicht. Aber

später wurde ein Briefumschlag gefunden, auf dem ihre englische

Adresse stand. Das scheint zu beweisen, daß sie tatsächlich

hier gewesen war. Doch ich begreife wirklich

nicht…» Sie brach ab.

Lady Stoddart-West sagte schnell:

.«Sie begreifen nicht, was mich das angehen kann? Sie

haben recht. Ich an Ihrer Stelle würde es auch nicht begreifen.

Aber als ich das alles hörte, wenn auch vielleicht etwas

verstümmelt oder verwirrt, da mußte ich mir Gewißheit verschaffen,

ob wirklich alles so war -»

«Ja?» sagte Emma.

«Und nun muß ich Ihnen etwas sagen, was ich Ihnen

niemals hatte sagen wollen. Sehen Sie: Ich bin Martine Dubois.

»

Emma starrte ihre Besucherin an, als könne sie einfach

nicht verstehen, was sie da hörte.

«Sie!» sagte Emma völlig entgeistert. «Sie sind

Martine?»

Die andere nickte lebhaft.

«Ja. Ich lernte Ihren Bruder Edmund in den ersten Tagen

des Krieges kennen. Er wurde in unserem Haus einquartiert.

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Nun, das übrige wissen Sie. Wir verliebten uns ineinander

und beabsichtigten, zu heiraten. Dann kam Dünkirchen, und

Edmund wurde als vermißt gemeldet. Später kam die Nachricht,

er sei gefallen. Ich will nicht mit Ihnen über die damalige

Zeit sprechen. Es ist lange her und überwunden. Aber

ich möchte Ihnen doch sagen, daß ich Ihren Bruder sehr

geliebt habe…

Dann kamen schreckliche Zeiten. Die Deutschen

besetzten Frankreich. Ich arbeitete für die

Widerstandsbewegung. Ich gehörte zu denen, die die

Aufgabe hatten, Engländer durch Frankreich zu lotsen, damit

sie nach England zurückkehren konnten. Auf diese Weise

lernte ich meinen jetzigen Gatten kennen. Er war Offizier

bei der Air Force und in Frankreich mit einem Fallschirm

abgesprungen, um bestimmte Aufga ben durchzuführen. Als

der Krieg zu Ende war, heirateten wir. Ich überlegte, ob ich

Ihnen schreiben oder Sie besuchen solle. Aber ich beschloß,

es nicht zu tun. Ich dachte, es habe keinen Sinn, alte

Erinnerungen aufzurühren. Ich hatte ein neues Leben

begonnen.»

Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:

«Ich möchte Ihnen aber doch sagen, daß es mich mit

einer seltsamen Freude erfüllte, als ich erfuhr, daß der engste

Freund meines Sohnes James ein Junge war, in dem ich

Edmunds Neffen erkannte. Alexander sieht Edmund sehr

ähnlich, wie Sie selber wohl gemerkt haben. Es schien mir

eine sehr glückliche Fügung zu sein, daß James und Alexander

sich derartig miteinander befreundeten.»

Sie beugte sich vor und legte die Hand auf Emmas Arm.

«Verstehen Sie, liebe Emma, daß ich, als ich die

Geschichte von dem Mord hörte und erfuhr, man glaube, die

Tote sei die Martine, die Edmund gekannt hatte, daß ich da

herkommen und Ihnen die Wahrheit sagen mußte? Eine von

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uns beiden, Sie oder ich, muß die Polizei unterrichten. Wer

auch immer die tote Frau sein mag – Martine ist sie nicht.»

«Ich kann es kaum fassen», sagte Emma, «daß Sie die

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