In diesem Augenblick aber öffnete Mrs. Hart, die an die –
sem Tag das Messing zu putzen hatte, die Haustür, und Miss
Marple drängte, ohne sich aufhalten zu lassen, ins Haus. Ihr
folgte eine ältere Dame, die niemand kannte.
«Ich hoffe sehr», sagte Miss Marple, Emmas Hand
ergreifend, «daß wir nicht ungelegen kommen. Sehen Sie,
ich werde übermorgen nach Hause zurückkehren, und ich
brachte es nicht übers Herz abzureisen, ohne mich von Ihnen
verabschiedet und Ihnen noch einmal für Ihre Güte gegenüber
Lucy gedankt zu haben. Aber entschuldigen Sie, ich
vergaß ganz, Ihnen meine Freundin, Mrs. McGillicuddy, die
bl’i mir zu Besuch weilt, vorzustellen. »
Mrs. McGillicuddy reichte Emma die Hand, betrachtete
sie aufmerksam und richtete dann den Blick auf Cedric, der
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inzwischen aufgestanden war. In diesem Augenblick trat
Lucy ins Zimmer.
«Tante Jane? Ich hatte keine Ahnung. . .»
«Ich mußte unbedingt Miss Crackenthorpe Lebewohl sagen
», unterbrach Miss Marple sie schnell. «Sie ist doch
wirklich zu gütig zu dir gewesen.»
«Wir haben alle Ursache, Miss Lucy dankbar zu sein»,
sagte Emma.
«Ja, das haben wir», bestätigte Cedric. «Wir haben sie
wie einen Galeerensträfling arbeiten lassen. Sie mußte
Kranke pflegen, die Treppen hinauf- und hinunterrennen -»
Miss Marple unterbrach ihn:
«Ich habe zu meinem allergrößten Bedauern von Ihrer
Erkrankung gehört. Ich hoffe, Sie haben sich wieder völlig
erholt, Miss Crackenthorpe?»
«O ja, wir sind wieder ganz gesund», erwiderte Emma.
«Lucy erzählte mir, Sie seien alle sehr krank gewesen.
Wie gefährlich ist doch so eine Nahrungsmittelvergiftung!
Es waren Pilze, hörte ich.»
«Was es eigentlich war, bleibt rätselhaft», sagte Emma.
«Glauben Sie es nicht>, sagte Cedric. «Sie haben sicher
gehört, was man sich so erzählt, Miss -»
«Marple», sagte Miss Marple.
«Also, wie gesagt, Sie haben sicher die Gerüchte gehört.
Alles redet ja darüber. Nichts eignet sich so zum Gesprächsstoff
in der Nachbarschaft wie eine Arsenikvergiftung.»
«Cedric!» sagte Emma vorwurfsvoll. «Ich wünschte, du
sprächest nicht davon. Du weißt doch, Inspektor Craddock
sagte . . .»
«Ach was!» unterbrach sie Cedric. «Jeder weiß es. Selbst
Sie haben etwas davon gehört, nicht wahr?»
Er wandte sich an Miss Marple und Mrs. McGillicuddy.
«Was mich betrifft>, erwiderte Mrs. McGillicuddy, «so
bin ich erst seit vorgestern aus dem Ausland zurück.»
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«Dann sind Sie also über den Ortsskandal noch nicht unterrichtet
», sagte Cedric. «Im Curry war Arsenik. Das war
die Ursache. Ich möchte wetten, Lucys Tante weiß alles.»
«Ja», sagte Miss Marple, «ich habe wohl so etwas gehört
-wenigstens eine Andeutung -, aber ich wollte Sie nicht in
Verlegenheit bringen, Miss Crackenthorpe.»
«Sie müssen nicht auf meinen Bruder hören», sagte
Emma. «Er ist nun mal so.»
Die Tür öffnete sich, und Mr. Crackenthorpe trat ein. Er
pochte ärgerlich mit seinem Stock auf den Boden.
«Wo ist der Tee?» fragte er. «Warum ist der Tee nicht
fertig? Sie! Mädchen!» wandte er sich an Lucy. «Warum
haben Sie mir den Tee nicht gebracht?»
«Er ist gerade fertig geworden, Mr. Crackenthorpe. Ich
bringe ihn sofort.»
Lucy verließ das Zimmer, und Mr. Crackenthorpe wurde
den beiden Damen vorgestellt.
«Ich liebe es, meine Mahlzeiten pünktlich einzunehmen»,
erklärte Mr. Crackenthorpe. «Pünktlichkeit und Sparsamkeit.
Das sind meine Losungen.»
«Sehr vernünftig und sehr notwendig», sagte Miss
Marple, mit dem Kopf nickend. «Besonders in diesen Zeiten
mit den hohen Steuern.»
Mr. Crackenthorpe schnaubte.
«Steuern! Sprechen wir nicht von der Räuberbande! Ich
bin arm. Bitter arm. Und es wird immer schlechter, statt
besser. Du sollst sehen, mein Junge», wandte er sich an
Cedric. «wenn du dieses Haus mal bekommst, dann wette
ich zehn zu eins, daß die Sozialisten es dir wegnehmen und
eine Wohlfahrtseinrichtung daraus machen. »
Lucy trat mit einem Teetablett wieder herein. Bryan
Eastley folgte ihr mit einem weiteren Tablett, auf dem sich
belegte Brote und Kuchen befanden.
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«Was ist das hier? Was ist das?!» Mr. Crackenthorpe betrachtete
mit gerunzelter Stirn das Tablett. «Eistorte? Haben
wir heute Gesellschaft? Niemand hat mir ein Wort davon
gesagt.»
Emmas Gesicht überflog eine schwache Röte.
«Dr. Quinmper kommt zum Tee, Vater. Er hat heute Geburtstag
-»
«Geburtstag?» knurrte der alte Mann. «Was braucht der
einen Geburtstag? Geburtstage sind nur für Kinder. Ich
feiere meine Geburtstage nie. Ich erlaube auch nicht, daß
jemand anders sie feiert.»
«Da sparst du eine Menge Geld», erklärte Cedric bissig.
«Die vielen Kerzen allein -»