nicht zuviel sein.»
«Iß doch selber davon!» ermunterte ihn der alte Mr.
Crackenthorpe.
«Soll ich den offiziellen Vorkoster abgeben?» fragte
Cedric. «Meinetwegen.»
Er nahm ein mit Fisch belegtes Brot und schob es in den
Mund. Miss Marple lächelte fein und nahm ebenfalls eins.
Sie biß etwas davon ab und sagte:
«Ich finde, es ist sehr tapfer von Ihnen, daß Sie diese
kleinen Scherze machen.»
Plötzlich schluckte sie schwer und begann zu würgen.
«Eine Fischgräte!» keuchte sie. «In meiner Kehle!»
Quimper stand schnell auf. Er ging zu ihr, ließ sie den
Kopf nach hinten legen und sagte, sie möchte den Mund
weit öffnen. Er nahm ein Etui aus der Tasche und wählte
eine kleine Zange aus. Mit professioneller Geschicklichkeit
blickte er der alten Dame in den Hals. In diesem Augenblick
öffnete sich die Tür und Mrs. McGillicuddy, der Lucy
folgte, trat ein. Mrs. McGillicuddy stieß einen Schrei der
Überraschung aus, als ihr Blick auf das lebende Bild am
Fenster fiel: Miss Marple, die den Kopf nach hinten beugte,
und der Doktor, der mit der einen Hand ihren Hals hielt, mit
der andern ihren Kopf nach hinten bog.
«Das ist er!» rief sie. «Das ist der Mann aus dem Zug. . .»
Mit unglaublicher Behendigkeit entwischte Miss Marple
dem Griff des Arztes und eilte zu ihrer Freundin.
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«Ich hatte zuversichtlich gehofft, du würdest ihn
Wiedererkennen, Elsbeth!» sagte sie. «Nein. Sprich nicht
mehr!» Sie wandte sich triumphierend zu Dr. Quimper. «Sie
haben es wohl nic ht gewußt, Doktor? Aber als Sie die Frau
im Zug erdrosselten, hat jemand es mit angesehen. Meine
Freundin hier, Mrs. McGillicuddy. Verstehen Sie? Sie hat es
mit eigenen Augen gesehen! Sie war in einem anderen Zug,
der parallel zu Ihrem fuhr.»
«Was zum Teufel!»
Dr. Quimper machte eine schnelle Bewegung auf Mrs.
McGillicuddy zu, aber ebenso schnell trat Miss Marple zwischen
sie beide.
«Ja», sagte Miss Marple. «Sie hat Sie gesehen, sie
erkennt Sie wieder, und sie wird es vor Gericht beschwören.
Es kommt sicher nicht oft vor», fuhr Miss Marple mit sanfter
Stimme fort, «daß jemand tatsächlich sieht, wie ein Mord
begangen wird. Für gewöhnlich kann man nur aus den Indizien
Schlüsse ziehen, in diesem Fall aber waren die Umstände
ganz ungewöhnlich. Es gab tatsächlich eine Augenzeugin
des Mordes.»
«Sie alte Hexe!» rief Dr. Quimper.
Er wollte sich auf Miss Marple stürzen, aber diesmal trat
ihm Cedric in den Weg. Er packte ihn an der Schulter.
«Sie also sind der Teufel, der hier als Giftmischer aus
und ein gegangen ist?» sagte er grimmig, indem er ihn
herumriß. «Ich habe Sie nie leiden können, und ich habe
Ihnen nie getraut, aber Gott weiß, ich habe Sie keinen
Augenblick in Verdacht gehabt.»
Bryan Eastley war Cedric schnell zu Hilfe geeilt, und an
der hinteren Tür erschienen Inspektor Craddock und
Inspektor Bacon.
«Dr. Quimper», sagte Bacon. «Ich muß Sie warnen, daß
…»
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«Fahren Sie zur Hölle mit Ihrer Warnung!» rief Dr.
Quimper. «Denken Sie etwa, irgend jemand wird glauben,
was ein paar verrückte alte Weiber sagen? Wer hat diesen
Blödsinn von einem Zug jemals gehört?»
Miss Marple erwiderte:
«Elsbeth McGillicuddy hat am 2o. Dezember den Mord
sofort bei der Polizei angezeigt und den Mörder beschrie –
ben.»
Dr. Quimper zuckte die Schultern.
«Warum hätte ich eine mir völlig fremde Frau ermorden
sollen?»
«Es war keine fremde Frau», erwiderte Inspektor Craddock.
«Es war Ihre Gattin. »
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«Sie sehen also», führte Miss Marple aus, «daß es
wirklich, wie ich vermutet hatte, höchst einfach war. Viele
Männer bringen, wie es scheint, ihre eigenen Frauen um.»
Mrs. McGillicuddy blickte bald Miss Marple, bald
Inspektor Craddock an.
«Ich wäre Ihnen dankbar», erklärte sie, «wenn Sie mich
über des Rätsels Lösung aufklären würden.»
«Er sah die Möglichkeit, eine reiche Frau, Emma
Crackenthorpe, zu heiraten», begann Miss Marple. «Er
konnte sie nur nicht heiraten, weil er schon eine Frau hatte.
Sie hatten sich vor Jahren getrennt, aber sie weigerte sich, in
die Scheidung einzuwilligen. Das paßte sehr gut zu dem,
was Inspektor Craddock mir von einem Mädchen gesagt
hatte, das sich Anna Strawinska nannte. Sie hatte einen
englischen Gatten, wie sie einer ihrer Freundinnen erzählte,
und es hieß auch, sie sei eine sehr gläubige Katholikin. Dr.
Quimper konnte es nicht riskieren, Emma zu heiraten und in