Padington by Agatha Christie

könnte für mich etwas Verlockendes haben? Ich war nur

sehr selten in meinem Leben einer Gefahr ausgesetzt. Aber

glauben Sie wirklich, die Sache könnte gefährlich werden?»

«Jemand», erwiderte Miss Marple ernst, «hat ein sehr erfolgreiches

Verbrechen begangen. Es hat keinerlei Aufsehen

erregt, keinen wirklichen Verdacht erweckt. Zwei ältere Damen

haben eine recht unwahrscheinliche Geschichte erzählt,

die Polizei hat Nachforschungen angestellt und nichts Bela –

stendes gefunden. Alles ist also ruhig und still. Ich glaube

nicht, daß der Unbekannte, wer er auch sein mag, auf den

Gedanken kommt, Sie stellten Nachforschungen an – es sei

denn, Sie haben Erfolg.»

«Und wonach soll ich Ausschau halten?»

< Nach irgendwelchen Spuren am Bahndamm - Stoffetzen, geknickte Zweige und dergleichen.» Lucy nickte. «Und dann?» 36 «Ich werde ganz in der Nähe sein», erwiderte Miss Marple. «Ein früheres Dienstmädchen, meine treue Florence, wohnt in Brackhampton. Sie hat jahrelang für ihre alten Eltern gesorgt. Jetzt sind sie beide tot, und Florence vermietet Zimmer an achtbare Leute. Ich habe mit ihr ausgemacht, daß ich bei ihr wohnen kann. Sie wird mich vorbildlich umsorgen, und ich möchte gern in der Nähe sein. Ich schlage daher vor, Sie erwähnen in Rutherford Hall, ein alte Tante von Ihnen lebe in der Nachbarschaft, und deshalb möchten Sie gern in einer Stellung tätig sein, die es Ihnen erlaubt, sie öfters zu besuchen. Sie stellen damit von vornherein die Bedingung, daß man Ihnen reichlich freie Zeit einräumt.» Wieder nickte Lucy. «Ich hatte die Absicht, übermorgen nach Taormina zu reisen», sagte sie. «Aber mein Urlaub kann warten. Mehr als drei Wochen könnte ich Ihnen aber nicht zur Verfügung stehen, denn dann bin ich besetzt.» «Drei Wochen sind reichlich genug», erklärte Miss Marple. «Wenn wir in drei Wochen nichts entdecken, können wir die Sache ruhig als aussichtslos aufgeben.» Miss Marple verabschiedete sich, und Lucy überlegte nur einen Augenblick. Dann rief sie in einem Stellenvermittlungsbüro in Brackhampton an, dessen Inhaberin sie gut kannte. Sie sagte, sie wünsche eine Beschäftigung in der Nachbarschaft, um in der Nähe ihrer «Tante» zu sein. Sie lehnte mit einiger Schwierigkeit und sehr viel Geschick mehrere recht günstige Angebote ab, bis schließlich Rutherford Hall genannt wurde. «Das scheint genau das zu sein, was ich suche», erklärte Lucy. Das Stellenvenruttlungsbüro rief in Rutherford Hall an, und Miss Crackenthorpe setzte sich telefonisch mit Lucy in Verbindung. Zwei Tage später verließ Lucy Eyelesbarrow London, um sich nach Rutherford Hall zu begeben. 37 Lucy Eyelesbarrow lenkte ihren kleinen Wagen durch das imposante Tor. Zur Rechten lag ein Häuschen, das ursprünglich wohl einen Pförtner beherbergt hatte, jetzt aber völlig verfallen aussah. Eine lange, kurvenreiche Auffahrt führte zu dem Haus. Lucy staunte, als sie dieses plötzlich vor sich liegen sah. Es war gewissermaßen eine Miniaturnachbildung von Schloß Windsor. Die steinernen Stufen vor der Eingangstür sahen vernachlässigt aus, und der Kiesweg war von wild wucherndem Unkraut ganz grün gefärbt. Sie zog an einem schmiedeeisernen Glockenstrang, und kurz darauf öffnete eine schlampig aussehende Frau, die sich die Hände an ihrer Schürze abwischte, die Tür und musterte sie argwöhnisch. «Werden wohl erwartet?» fragte sie. «Irgendwas mit Barrow?» «Ganz recht», erwiderte Lucy. Das Innere des Hauses strömte eine empfindliche Kälte aus. Lucy folgte ihrer Führerin durch die lange, dunkle Halle in das Wohnzimmer, das mit seinen Bücherregalen und Polstermöbeln einen recht behaglichen Eindruck machte. «Ich werde es ihr sagen», brummte die Frau, warf einen mißbilligenden Blick auf Lucy und verließ das Zimmer. Nach einigen Minuten trat Miss Emma Crackenthorpe ein, eine Frau in mittleren Jahren, die Lucy gleich auf den ersten Blick gefiel. Sie hatte nichts Auffallendes an sich, sah weder ausgesprochen gut noch unscheinbar aus, trug Tweedrock und Pullover, hatte dunkles Haar, nußbraune Augen und eine recht angenehme Stimme. «Miss Eyelesbarrow?» fragte sie freundlich und reichte ihr die Hand. «Ich weiß nicht recht», sagte sie dann etwas zweifelnd, «ob diese Stellung wirklich Ihren Wünschen entsprechen wird. Ich brauche keine Haushälterin, ich brauche jemanden, der die Arbeit macht. Viele Leute meinen, es handle sich 38 einfach um ein wenig Staubwischen und dergleichen; aber das Staubwischen kann ich selber besorgen.» < Ich verstehe», sagte Lucy. «Sie brauchen jemanden, der kocht und abwäscht, der die Hausarbeiten erledigt und den Heizkessel in Betrieb hält. Das ist mir schon recht. Ich scheue durchaus keine Arbeit.» «Leider ist es ein großes Haus, und es macht viel Mühe.

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