Padington by Agatha Christie

«Vielleicht streicht ihr sie morgen an.»

«Guter Gedanke!» Alexanders Gesicht hellte sich auf.

«Ich glaube, im stehen ein paar alte

Farbtöpfe. Wollen wir mal nachsehen?»

«Was ist der ?» fragte Lucy.

Alexander zeigte auf ein langgestrecktes, niedriges Steingebäude,

das in der Nähe des hinteren Fahrwegs nicht sehr

weit entfernt vom Haus stand.

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«Eigentlich ist es ja gar kein Schuppen», erklärte

Alexander. «Großvater sagt, das Gebäude stamme aus dem

16. Jahrhundert, aber das ist natürlich nur ein Märchen. Es

gehörte zu dem Gutshaus, das ursprünglich hier gestanden

hat, bis mein Urgroßvater es abriß und statt dessen das

schreckliche neue Haus baute.»

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:

«In dem sind viele von den Dingen

untergebracht, die Großvater im Ausland gesammelt und

nach Hause geschickt hat, als er noch jung war. Das meiste

ist wirklich fürchterliches Zeug. Kommen Sie doch mit und

sehen Sie es sich einmal an!»

Das tat Lucy nur zu gern. Das Gebäude hatte eine

schwere Eichentür. Alexander streckte den Arm aus nach

dem Schlüssel, der an einem von Efeu verdeckten Nagel

hing. Er schloß auf, und sie gingen alle drei hinein.

Der erste Eindruck, den Lucy hatte, als sie sich

umblickte, war der eines erstaunlich schlechten Museums.

Die Marmorköpfe von zwei römischen Kaisern glotzten sie

aus steinernen Augen an. An der einen Wand stand ein

großer Sarkophag aus der griechisch-römischen Spätzeit,

daneben eine Venus auf einem Sockel. Außer diesen

Kunstwerken sah man aufgestapelte Stühle und Tische und

allerlei Krimskrams, wie eine verrostete Handnähmaschine,

zwei alte Eimer, ein paar von den Motten zerfressene

Wagenkissen, eine grüngestrichene eiserne Gartenbank, die

ein Bein verloren hatte.

«Mir ist, als hätte ich die Farbe dort hinten in der Ecke

gesehen», meinte Alexander. Er zog einen zerfetzten Vorhang

beiseite.

Tatsächlich fanden sich dort ein paar Farbtöpfe und

Pinsel, die ganz trocken und steif waren.

«Um die Pinsel wieder brauchbar zu machen, müßte man

Terpentin haben», sagte Lucy.

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Sie fanden aber kein Terpentin, und Lucy ermunterte die

Jungen, welches zu besorgen. Vielleicht würde das Anstreichen

der Golfnummern sie für eine Weile beschäftigen.

«Hier müßte einmal gründlich aufgeräumt werden», murmelte

Lucy.

«Ich würde mir darum keine Gedanken machen», meinte

Alexander. «Wenn der Schuppen für irgend etwas gebraucht

werden soll, ist es immer noch früh genug.»

«Soll ich den Schlüssel wieder draußen an den Nagel

hängen? Hängt er immer da?»

«Ja. Hier ist ja nichts, das zu stehlen lohnte. Wer interessiert

sich schon für diese schrecklichen Marmordinger? Außerdem

wiegen sie sicher viele Zentner.»

Lucy gab ihm recht. Sie konnte unmöglich Mr.

Crackenthorpes Geschmack bewundern. Er schien mit einem

unfehlbaren Instinkt die schlechtesten «Kunstwerke», die

sich auftreiben ließen, gewählt zu haben.

Als die Jungen gegangen waren, blickte Lucy sinnend auf

den Sarkophag.

Auf einmal fiel ihr auf, wie muffig es in diesem

«Museum» roch. Man hatte hier offenbar lange nicht

gelüftet.

Sie betrachtete den Sarkophag aus der Nähe. Ein

schwerer Deckel verschloß ihn. Lucy wurde nachdenklich.

Schließlich kam sie zu einem Entschluß. Sie ging in die

Küche und holte ein schweres Brecheisen.

Es war keine leichte Aufgabe, aber Lucy bemühte sich

verbissen, den Deckel etwas hochzustemmen, was ihr endlich

auch gelang. Als der Spalt breit genug war, blickte Lucy

in das Innere des Sarkophags und sah, was er barg…

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Wenige Minuten später verließ Lucy, sehr blaß

geworden, den «Langen Schuppen», verschloß die Tür und

hängte den Schlüssel wieder an den Nagel.

Sie eilte zum Stall, holte ihren Wagen, fuhr zur Post und

rief Miss Marple an.

«Ich möchte mit Miss Marple sprechen.»

«Sie ruht gerade, Miss. Ist dort Miss Eyelesbarrow?»

«Ja.»

«Ich kann sie nicht stören, Miss. Ausgeschlossen. Die

alte Dame hat ihre Ruhe nötig.»

«Sie müssen sie stören. Es ist dringend.»

«Ich denke nicht -»

«Bitte, tun Sie sofort, was ich sage.»

Wenn sie wollte, konnte Lucy ihrer Stimme einen stählernen

Klang geben. Florence beugte sich ihrer Autorität.

Plötzlich sprach Miss Marples Stimme:

«Ja, Lucy?»

«Sie hatten ganz recht», sagte Lucy. «Ich habe sie gefunden.

»

«Die Leiche einer Frau?»

«Ja. Die Leiche einer Frau in einem Pelzmantel. Sie liegt

in einem steinernen Sarkophag in einem Schuppen, der als

eine Art Museum und Abstellraum zugleich dient. Ganz in

der Nähe des Hauses. Was soll ich jetzt tun? Ich muß wohl

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