Padington by Agatha Christie

Vergnügen daran findet, den Kranken zu spielen. Darum

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läßt sie ihm seinen Spaß und behandelt ihn wie einen Kranken.

Auch ihre Brüder weiß sie gut zu nehmen; sie legen alle

großen Wert auf ihr Urteil. O ja, sie ist eine kluge Frau.

Doch sagen Sie, Inspektor, brauchen Sie mich? Soll ich mir

die Leiche ebenfalls ansehen, da Johnstone doch mit ihr

fertigist?» Johnstone war der Polizeiarzt.) «Vielleicht war

sie meine Patientin!»

«Ja, ich möchte Sie bitten, sich die Tote anzusehen,

Doktor. Wir wollen natürlich alles versuchen, um sie zu

identifizieren. Es ist wohl ausgeschlossen, daß wir den alten

Mr. Crackenthorpe bemühen? Wäre es für ihn eine zu große

Belastung?»

«Belastung? Im Gegenteil! Er würde es weder Ihnen

noch mir jemals verzeihen, wenn wir ihn nicht einen Blick in

den Sarkophag werfen ließen. Er ist ganz wild darauf. Es ist

die aufregendste Geschichte, die ihm seit fünfzehn oder

mehr Jahren passiert ist – und sie kostet ihn nichts.»

«Er ist also eigentlich nicht ernstlich krank?»

«Er ist zweiundsiebzig», erwiderte der Doktor. «Das ist

tatsächlich alles, was ihm fehlt. Er hat gelegentlich etwas

Rheuma. Aber wer hat das nicht? Er nennt es Gelenkentzündung.

Nach dem Essen bekommt er manchmal Herzklopfen

-was ja schließlich kein Wunder ist -, und darum behauptet

er, er habe ein krankes Herz. Aber kommen Sie! Wir wollen

uns die Leiche ansehen. Unerfreulicher Anblick, vermute

ich?»

«Johnstone schätzt, daß die Frau schon zwei bis drei Wochen

tot ist.»

«Also sehr unerfreulich. »

Der Arzt stand am Sarkophag und blickte mit beruflicher

Neugierde hinein. Was er einen «unerfreulichen Anblick»

nannte, schien ihn nicht sonderlich zu erregen.

«Hab sie noch nie gesehen. Keine Patientin von mir.

Erinneremich auch nicht, ihr jemals in Brackhampton

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begegnet zu sein. Sie muß einmal sehr gut ausgesehen

haben.»

Sie gingen wieder ins Freie. Dr. Quimper betrachtete den

«Langen Schuppen».

«Hier also hat man sie gefunden. In einem Sarkophag!

Phantastischer Gedanke! Wer hat sie entdeckt?»

«Miss Lucy Eyelesbarrow.»

«Die neueste Haushälterin? Wie kam die denn darauf, in

Sarkophagen herumzustöbern?»

«Gerade danach gedenke ich sie zu fragen», erwiderte

Inspektor Bacon grimmig. «Doch um auf Mr. Crackenthorpe

zurückzukommen: Wollen Sie . . .?»

«Ich werde ihn holen.»

Mr. Crackenthorpe kam in Begleitung des Doktors ziemlich

schnellen Schritts herbei.

«Schändlich!» knurrte er. «Einfach schändlich! Ich habe

den Sarkophag aus Florenz mitgebracht. Es muß 1908 oder

igog gewesen sein.»

«Seien Sie vorsichtig!» warnte der Doktor. «Was Ihnen

bevorsteht, ist nicht angenehm.»

«Wie krank ich auch bin, muß ich doch meine Pflicht tun,

nicht wahr?»

Ein sehr kurzer Besuch im «Langen Schuppen» genügte

ihm indessen. Mit bemerkenswerter Eile verließ er den unheimlichen

Ort wieder.

«Hab sie nie in meinem Leben gesehen!» sagte er.

«Einfach schändlich!»

Sie kehrten zusammen ins Haus zurück.

Nachdem Lucy die Polizei in den «Langen Schuppen»

geführt und kurz über ihren Fund berichtet hatte, war sie zunächst

in den Hintergrund getreten. Sie gab sich aber keineswegs

der Illusion hin, daß für sie die Sache damit erledigt

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sei. Die Polizei war selbstverständlich noch keineswegs mit

ihr fertig.

Sie hatte gerade die Vorbereitungen fürs Essen fast be –

endet, als ihr gemeldet wurde, Inspektor Bacon wünsche sie

zu sprechen. Sie stellte die große Schüssel mit Salzwasser, in

dem die Kartoffelscheiben lagen, beiseite und folgte dem

Polizisten, der sie zu Inspektor Bacon führte. Auf seine Aufforderung

hin nahm sie Platz und beantwortete ruhig seine

Fragen.

Sie nannte ihren Namen, gab ihre Adresse in London an

und fügte von sich aus hinzu:

«Ich werde Ihnen einige Namen und Adressen geben,

damit Sie sich über mich erkundigen können, wenn Sie Näheres

wissen wollen.»

Bacon war recht beeindruckt von diesen Namen; ein

Admiral war darunter, ein Collegevorsteher aus Oxford und

eine Hofdame.

«Also, Miss Eyelesbarrow, Sie gingen in den

sogenannten , um etwas Farbe zu holen.

Ist das richtig? Und als Sie die Farbe geholt hatten, gingen

Sie in die Küche und holten ein Brecheisen, stemmten den

Deckel des Sarkophags auf und fanden die Leiche. Was

suchten Sie in dem Sarkophag?»

«Eine Leiche», erwiderte Lucy.

«Sie suchten eine Leiche – und fanden eine. Ist das nicht

eine ganz erstaunliche Geschichte?»

«O ja, es ist eine erstaunliche Geschichte. Vielleicht darf

ich Ihnen die Sache erklären.»

«Ich bitte darum.»

Lucy gab einen genauen Bericht über die Vorgänge, die

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