Padington by Agatha Christie

diesmal bloß Einbildung -, daß sie sich ziemlich schnell entfernte,

als atme sie erleichtert auf, als suche sie, sich möglichst

rasch in Sicherheit zu bringen und weiteren Fragen zu

entrinnen.

«Glauben Sie, sie weiß etwas?» fragte Bacon.

Inspektor Craddock zuckte die Achseln:

«In einem gewissen Stadium der Untersuchung ist man

geneigt zu glauben, jeder wisse mehr, als er gewillt sei,

einem zu erzählen.»

«Für gewöhnlich wissen sie auch mehr», meinte Bacon

aufgrund seiner Erfahrungen. «Nur», fügte er hinzu, «hat es

selten etwas mit dem Fall zu tun. Meistens handelt es sich

um kleine Verfehlungen innerhalb der Familie oder um

irgendwelche Dinge, die die Leute zu verbergen trachten und

von denen sie nicht wünschen, daß sie an die Öffentlichkeit

gelangen.»

«Ja, ich weiß. Nun, jedenfalls -»

Was Inspektor Craddock noch hatte sagen wollen, wird

man nie erfahren, denn die Tür wurde aufgerissen, und ein

höchst entrüsteter Mr. Crackenthorpe schlurfte in die Bibliothek.

«Ein schöner Zustand das!» knurrte er. «Scotland Yard

kommt hierher und hält es nicht einmal für nötig, sich zuerst

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und vor allem an das Oberhaupt der Familie zu wenden!

Wer ist hier der Herr im Hause? Wollen Sie mir das sagen?

Wer ist der Herr hier?»

«Sie natürlich, Mr. Crackenthorpe», versuchte Mr.

Craddock ihn zu beruhigen und stand auf. «Aber wir hörten,

Sie hätten Inspektor Bacon bereits alles erzählt, was Sie

wissen, und da, wie man uns sagte, Ihre Gesundheit nicht die

beste ist, wollten wir Ihnen nicht zuviel zumuten. Dr.

Quimper meinte -»

«Gewiß – gewiß – meine Gesundheit ist nicht die beste.

Aber was Dr. Quimper betrifft, so ist er ein richtiges altes

Weib – ein ausgezeichneter Arzt, der meinen Fall versteht -,

aber er möchte mich am liebsten in Watte packen. Hat eine

fixe Idee, wenn es ums Essen geht. Was hat er mich nicht

alles zu Weihnachten gefragt, als mir etwas schlecht war.

Was ich gegessen hätte, wollte er wissen und dann, wer es

gekocht hätte und wer es mir gebracht hätte. Lauter dummes

Zeug! Wenn ich auch nicht gerade ein völlig gesunder Mann

bin, so bin ich doch gesund genug, um Ihnen helfen zu

können, soweit es in meiner Macht steht. Ein Mord in

meinem eige nen Hause! Oder jedenfalls auf meinem Grund

und Boden! Der ist übrigens ein

interessantes Gebäude. Elisabethanisch. Der Architekt hier

im Ort bestreitet das zwar, aber er weiß nicht, was er redet.

Spätestens 1580 gebaut. Aber davon sprechen wir jetzt nicht.

Was wünschen Sie von mir zu wissen? Welche Theorie

haben Sie?»

«Es ist noch ein wenig zu früh, um bereits Theorien zu

entwickeln, Mr. Crackenthorpe. Wir bemühen uns noch herauszufinden,

wer die Frau war.»

«Eine Ausländerin, vermuten Sie?»

«ja.»

«Feindliche Spionin?»

«Unwahrscheinlich, möchte ich sagen.»

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«Möchten Sie sagen! Unsinn! Sie sind überall, diese

Leute. Infiltration. Warum die Regierung sie ins Land läßt,

geht über meinen Verstand. Wahrscheinlich war sie hinter

Industrie geheimnissen her. Sicherlich.»

«In Brackhampton?»

«Fabriken gibt es überall. Selbst in der Nähe meines

Grundstücks, hinter dem Bahndamm.»

Craddock warf Bacon einen fragenden Blick zu. Dieser

antwortete:

«Blechdosen.»

«Wie können Sie wissen, was die in Wirklichkeit

machen? Man darf nicht einfach alles glauben, was die

Leute einem erzählen. Aber gut. Wenn sie keine Spionin

war, wer war sie dann? Glauben Sie etwa, sie hatte ein

Verhältnis mit einem meiner werten Söhne? Käme höchstens

Alfred in Frage. Harold nicht. Der ist zu vorsichtig. Und

Cedric geruht nicht, in diesem Lande zu leben. All right,

vielleicht war es die Schürze, hinter der Alfred her war. Da

wird sie wohl irgend so ein gewalttätiger Typ verfolgt

haben, weil er glaubte, sie habe mit Alfred ein Stelldichein,

und dann hat er sie umgebracht. Was meinen Sie dazu?»

Inspektor Craddock erwiderte diplomatisch, das sei tatsächlich

eine Theorie, die man in Erwägung ziehen müsse.

Er betonte aber, Mr. Alfred Crackenthorpe habe sie nicht

wiedererkannt.

«Pah! Angst! Weiter nichts! Alfred war immer ein

Feigling. Er lügt, lügt das Blaue vom Himmel herunter.

Keiner meiner Söhne taugt etwas – nichts als Geier, die bloß

auf meinen Tod warten. Das ist der einzige Inhalt ihres

Lebens.» Er kicherte. «Aber sie können warten. Ich denke

nicht daran zu sterben, um ihnen einen Gefallen zu tun. Das

ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe… Ich bin müde. Muß

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