Padington by Agatha Christie

das eine vom andern schwer zu trennen.»

Craddock blickte sie scharf an.

«Denken Sie an etwas Bestimmtes?»

«O nein – wirklich nicht.»

Dermot Craddock seufzte:

«Dann kann ich also nichts tun, als den Fall

weiterzuverfolgen, wie man zu sagen pflegt. Das Leben

eines Polizeimannes ist höchst langweilig.»

«Ich bin sicher, daß Sie Erfolg haben werden.»

«Fingerzeige für mich? Noch mehr Inspirationen?»

«Ich dachte an so etwas wie fahrende Leute», erwiderte

Miss Marple etwas vage. «Ich meine Artisten, Schauspieler

und dergleichen, die von Ort zu Ort ziehen und keine festen

Bindungen an eine Heimat haben. Das Verschwinden einer

solchen Frau könnte leicht unbemerkt bleiben.»

«Ich verstehe. Vielleicht ist etwas daran. Wir werden die

Sache einmal von diesem Gesichtspunkt aus betrachten.»

Dann fügte er hinzu: «Worüber lächeln Sie?»

«Ich mußte gerade daran denken», erwiderte Miss

Marple, «was für ein Gesicht Elsbeth McGillicuddy machen

wird, wenn sie hört, daß die Leiche gefunden wurde.»

101

«Wahrhaftig!» rief Mrs. McGillicuddy aus.

«Wahrhaftig!»

Sie fand keine Worte. Stumm blickte sie bald auf den

netten jungen Mann, der mit einem amtlichen Ausweis zu

ihr gekommen war, bald auf die Fotografien, die er

mitgebracht hatte.

«Wahrhaftig, das ist sie! Ja, das ist sie! Das arme Ding!

Ich muß gestehen, ich freue mich, daß man ihre Leiche

gefunden hat. Niemand hat mir ein Wort geglaubt, als ich es

meldete; weder die Polizei noch die Leute von der

Eisenbahn, noch sonst jemand. Es ärgert einen, wenn man

keinen Glauben findet. Jedenfalls kann niemand behaupten,

ich hätte nicht alles getan, was in meiner Macht stand.»

Der junge Mann nickte anerkennend.

«Wo, sagen Sie, wurde die Leiche gefunden?» wollte

Mrs. McGillicuddy wissen.

«In einem Schuppen des außerhalb von Brackhampton

gelegenen Landsitzes Rutherford Hall.»

«Nie davon gehört. Wie ist sie denn dahin gelangt?»

Der junge Mann antwortete nicht.

«Ich bin sicher, Jane Marple hat sie gefunden. Auf Jane

kann man sich verlassen.»

«Die Leiche», berichtigte der junge Mann, indem er auf

seine Notizen blickte, «wurde von einer Miss Lucy

Eyelesbarrow gefunden.»

«Von der habe ich noch nie gehört», erklärte Mrs.

McGillicuddy. «Ich bin noch immer der Ansicht, Jane

Marple müsse etwas damit zu tun haben. »

«Jedenfalls, Mrs. McGillicuddy, können Sie mit aller Bestimmtheit

die Frau auf dieser Fotografie identifizieren? Sie

sind sicher, daß es dieselbe Frau ist, die Sie in jenem Zug

gesehen haben?»

102

«Die Frau, die von einem Mann erdrosselt wurde:

jawohl.»

«Können Sie diesen Mann beschreiben?»

«Er war groß», erwiderte Mrs. McGillicuddy.

«Ja? Und weiter?»

«Er hatte dunkles Haar. »

«Ja? Und?»

«Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann», erwiderte Mrs.

McGillicuddy. «Er kehrte mir den Rücken zu. Ich habe sein

Gesicht nicht gesehen.»

«Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?»

«Natürlich nicht! Ich sage doch, er kehrte mir den

Rücken zu. Sein Gesicht habe ich nicht gesehen.»

«Haben Sie eine Ahnung, wie alt er etwa war?»

Mrs. McGillicuddy überlegte.

«Nein. Eigentlich nicht. Ich meine, ich weiß es nicht…

aber ich bin fast sicher, daß er nicht mehr ganz jung war.

Seine Schultern sahen… sehr kräftig aus, wenn Sie

verstehen, was ich meine.»

Der junge Mann nickte.

< Dreißig oder darüber. Mehr kann ich nicht sagen. Ich sah ja nicht auf ihn. Ich blickte auf sie - auf diese Hände, die sich um ihre Kehle spannten, auf ihr Gesicht... es war ganz blau . . . Wissen Sie, manchmal träume ich noch jetzt davon... » « Es muß ein schreckliches Erlebnis gewesen sein», sagte der junge Mann verständnisvoll. Er schloß sein Notizbuch und fragte: «Wann kehren Sie nach England zurück?» «Frühestens in drei Wochen - das heißt, wenn es nicht vorher notwendig ist?» Er beruhigte sie schnell. 103 «O nein. Im Moment könnten Sie doch nichts tun. Aber natürlich, wenn wir eine Verhaftung vornehmen -» Er zuckte die Achseln. Die Post brachte einen Brief von Miss Marple an ihre Freundin mit einem ausführlichen Bericht, und Mrs. McGillicuddy verschlang jedes Wort voller Befriedigung. 104 11 «Ich werde aus Ihnen nicht klug», stellte Cedric Crackenthorpe fest. Er betrachtete Lucy Eyelesbarrow prüfend. «Inwiefern?» «Ich begreife nicht, was Sie hier tun.» «Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt.» «Als Dienstmädchen?» fragte er verächtlich. «Sie sind altmodisch!» erwiderte Lucy. « gibt es heutzutage nicht mehr. Ich bin

von Beruf Hausgehilfin oder Haushälterin.»

«Aber die Arbeit, die Sie zu verrichten haben, kann Ihnen

Pages: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Leave a Reply 0

Your email address will not be published. Required fields are marked *