Padington by Agatha Christie

eine Ausländerin, vielleicht eine Französin. Cedric, hältst du

es für möglich, daß es – Martine ist?»

Cedric starrte sie einige Sekunden lang an, als verstünde

er sie nicht.«Martine? Aber wer – ach so, du meinst

Martine?»

«Ja, glaubst du -»

«Warum um alles in der Welt sollte es Martine sein?»

«Das Telegramm, das sie schickte, war doch recht merkwürdig,

wenn man darüber nachdenkt. Es muß ungefähr zur

selben Zeit gewesen sein… Glaubst du, sie ist bierhergekommen

und -»

«Unsinn! Warum sollte Martine hierhergekommen sein?

Und was soll sie im gesucht haben? Ich

finde diese Idee absurd.»

«Meinst du nicht, ich sollte es Inspektor Bacon oder dem

andern sagen?»

«Was sagen?»

«Über Martine. Wegen des Briefs.»

«Bring bloß die Dinge nicht noch mehr durcheinander,

Schwesterherz, und erzähl der Polizei nicht allerlei belangloses

Zeug, das mit der Sache gar nichts zu tun hat. Ich habe

übrigens nie recht an Martines Brief geglaubt.»

«Aber ich.»

«Du warst von jeher geneigt, immer unmögliche Dinge

zu glauben. Mein Rat ist: halt deinen Mund. Es ist Sache der

Polizei, die Leiche zu identifizieren. Ich wette, Harold würde

dasselbe sagen, wenn du ihn fragtest.»

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«Natürlich würde Harold dasselbe sagen. Alfred auch.

Aber ich bin verwirrt, Cedric, ich mache mir wirklich

Gedanken, und ich weiß nicht, was ich tun soll.»

«Nichts», erwiderte Cedric sofort.

Emma Crackenthorpe seufzte. Sie kehrte langsam zum

Haus zurück. Man sah ihr an, daß etwas sie quälte. Als sie

das Haus beinahe erreicht hatte, kam Dr. Quimper heraus

und öffnete die Tür seines alten Austin. Als er sie sah,

machte er die Tür wieder zu und ging ihr entgegen.

«Das Befinden Ihres Vaters, Miss Emma, ist erstaunlich

gut», sagte er. «Mord scheint ihm zu bekommen. Er nimmt

jetzt doppelten Anteil am Leben. Ich muß diese Medizin

auch anderen unter meinen Patienten empfehlen.»

Emma lächelte mechanisch.

Dr. Quimper merkte sofort, daß etwas los war mit ihr.

«Quält Sie etwas?» fragte er.

Emma blickte zu ihm auf. Sie hatte sich daran gewöhnt,

seine Freundlichkeit und Sympathie als trostreich zu empfinden.

Er war ein Freund geworden, auf den man sich stützen

konnte, nicht nur ein ärztlicher Ratgeber. Seine Barschheit

täuschte sie nicht. Sie wußte, daß sich hinter der rauhen

Außenseite ein gutes Herz verbarg.

«ja, es quält mich etwas», räumte sie ein.

«Wollen Sie es mir nicht erzählen? Natürlich nur, wenn

Sie wollen.»

«Ich möchte es Ihnen gern erzählen. Zum Teil wissen Sie

es schon. Die Frage ist nur, was ich tun soll.»

«Mir scheint, Ihr Urteil war meistens recht sicher. Wo

liegt die Schwierigkeit?»

«Sie erinnern sich – oder vielleicht erinnern Sie sich nicht

-, daß ich Ihnen einmal etwas über meinen Bruder erzählt

habe – den Bruder, der im Krieg fiel.»

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«Sie meinen, daß er sich verheiratet hatte – oder verheiraten

wollte. Handelte es sich nicht um ein französisches Mädchen?

»

«ja. Fast unmittelbar, nachdem ich seinen Brief erhalten

hatte, fiel er. Wir haben nie mehr etwas von dem Mädchen

oder über sie gehört. Alles, was wir von ihr wußten, war ihr

Vorname. Wir erwarteten immer, daß sie schreiben oder herkommen

würde. Aber sie tat es nicht. Kein Lebenszeichen

von ihr – bis vor etwa einem Monat, unmittelbar vor Weihnachten.

»

«Ich erinnere mich. Sie bekamen damals einen Brief,

nicht wahr?»

«Ja. Darin hieß es, sie sei in England und würde uns gern

besuchen. Wir richteten uns darauf ein, aber in letzter

Minute schickte sie ein Telegramm: Sie müsse

unerwarteterweise nach Frankreich zurück.»

«Und?»

«Die Polizei glaubt, die ermordete Frau sei eine

Französin.»

«So? Glaubt sie das? Ich hatte eher den Eindruck, sie

müsse eine Engländerin sein, aber man kann ja schlecht

urteilen. Was Sie beunruhigt, ist also die Möglichkeit, daß

die tote Frau die Verlobte Ihres Bruders sein könnte?»

«Ja.»

«Ich halte das zwar für äußerst unwahrscheinlich», erwiderte

Dr. Quimper, «aber trotzdem kann ich Ihre Skrupel gut

verstehen.»

«Ich frage mich, ob ich nicht der Polizei alles erzählen

sollte. Cedric und die andern halten es für ganz überflüssig.

Wie denken Sie darüber?»

«Hm.»

Dr. Quimper schürzte die Lippen. Er schwieg eine Weile

und dachte angestrengt nach. Schließlich sagte er zögernd:

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«Es ist natürlich viel einfacher, wenn Sie nichts sagen.

Ich kann Ihre Brüder verstehen. Dennoch -»

Quimper blickte sie an – fast liebevoll.

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