Padington by Agatha Christie

Goldmünzen in seine hohle Hand.

«Sehen Sie sich das einmal an, junge Frau! Sehen Sie

sich die Münzen an! Nehmen Sie sie in die Hand. Befühlen

Sie sie. Wissen Sie, was das ist? Möchte wetten, Sie wissen

es nicht. Sie sind zu jung. Sovereigns sind das. Gute,

goldene Sovereigns. Sie wurden als Zahlungsmittel benutzt,

bevor alle diese dreckigen Scheine Mode wurden. Sind eine

Menge mehr wert, als die lächerlichen Papierdinger. Habe

sie vor langer Zeit gesammelt. Ich habe in dieser Kassette

noch eine Menge anderer Dinge. Emma weiß nichts davon.

Niemand weiß es. Es ist unser Geheimnis! Verstehen Sie,

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Mädchen? Wissen Sie auch, warum ich Ihnen davon erzähle

und warum ich Ihnen das alles zeige?»

«Warum?»

«Weil Sie nicht glauben sollen, ich sei ein erle digter,

kranker alter Mann. Meine Frau war ein harmloses,

unbegabtes Geschöpf. Sie aber sind nicht unbegabt. Sie sind

ein nettes junges Ding. Ich gebe Ihnen einen Rat: Werfen Sie

sich nicht an einen jungen Mann weg! Junge Männer sind

Narren. Denken Sie an Ihre Zukunft. Warten Sie ab . . .»

Seine Finger gruben sich in Lucys Arm. Er näherte seinen

Mund ihrem Ohr. «Mehr sage ich nicht. Warten Sie ab! Die

Dummköpfe glauben, ich würde bald sterben, aber sie

täuschen sich. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich sie

alle miteinander überlebte. Dann werden wir sehen! Harold

hat keine Kinder. Cedric und Alfred sind nicht verheiratet.

Emma – wird nicht mehr heiraten. Sie hat ein Auge auf

Quimper geworfen, aber Quimper wird nie daran denken,

Emma zu heiraten. Dann ist da noch Alexander. Ja,

Alexander… Aber wissen Sie, ich habe Alexander gern. Es

ist komisch, aber ich mag ihn gut leiden.»

Er schwieg einen Augenblick und runzelte die Stirn.

Schließlich sagte er:

«Nun, Mädchen, wie ist es? Wie denken Sie darüber?»

«Miss Eyelesbarrow…»

Emmas Stimme drang gedämpft durch die geschlossene

Tür.

Lucy ergriff dankbar die Gelegenheit.

«Miss Crackenthorpe ruft mich. Ich muß gehen. Vielen

Dank, daß Sie mir das alles gezeigt haben. . .»

«Vergessen Sie nicht… unser Geheimnis-»

«Ich werde es nicht vergessen», erwiderte Lucy. Sie eilte

aus dem Zimmer und fragte sich, ob sie soeben einen

bedingten Heiratsantrag erhalten habe…

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Dermot Craddock saß in seinem Arbeitszimmer am

Schreib tisch. Er saß etwas seitwärts geneigt und sprach ins

Telefon, während er den Ellbogen auf den Tisch stützte. Er

sprach französisch – eine Sprache, die er recht gut

beherrschte.

«Es war nur so ein Gedanke, verstehen Sie.»

«Gewiß», kam die Antwort von Paris. «Ich habe in den

entsprechenden Kreisen schon Nachforschaungen anstellen

lassen. Wie ich höre, sind sie nicht ganz ergebnislos verlaufen.

Es heißt, Frauen dieser Art verschwänden sehr leicht,

wenn sie nicht eine Familie oder einen festen Freund besäßen.

Sie gehen auf eine Tournee, oder es taucht ein neuer

Liebhaber auf, und niemand stellt Nachforschungen an,

wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Es ist schade, daß

man die Frau nach der Fotografie, die sie mir geschickt

haben, schwer wiedererkennen kann. Die Strangulierung

verändert das Aussehen natürlich sehr. Ich werde die letzten

Berichte meiner Leute studieren. Vielleicht findet sich da

etwas. Au revoir, mon cher. »

Während Craddock sich höflich von seinem Kollegen in

Paris verabschiedete, wurde ihm ein Papier auf den Schreibtisch

gelegt. Er las:

«Miss Emma Crackenthorpe möchte Inspektor Craddock

sprechen, in Sachen Rutherford Hall.«

Er legte den Hörer auf die Gabel und sagte zu dem Beamten:

«Führen Sie Miss Crackenthorpe herauf.»

Offenbar hatte er sich also nicht getäuscht. Emma

Crackenthorpe wußte etwas. Vielleicht nicht viel, aber doch

etwas, und sie hatte sich entschlossen, es ihm zu sagen.

Als sie eintrat, stand er auf, reichte ihr die Hand und bat

sie, Platz zu nehmen.

«Sie sind gekommen, um mir etwas zu erzählen, Miss

Crackenthorpe, nicht wahr? Sie sind beunruhigt. Stimmt es?

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Vielleicht ist es nur eine Kleinigkeit, und Sie denken, sie

habe wahrscheinlich mit der Sache nichts zu tun, sind aber

doch der Meinung, es sei besser, Sie sprächen darüber.

Deshalb sind Sie gekommen. Habe ich nicht recht? Ich

vermute, es hat mit der Identität der toten Frau zu tun. Sie

glauben zu wissen, wer sie ist. Stimmt das?»

«Nein, nein, nicht ganz. Ich halte es für höchst unwahrscheinlich.

Aber -»

«Aber es besteht doch eine Möglichkeit, und das beunruhigt

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