Padington by Agatha Christie

Frau?»

«Meine Frau ist seit Anfang Dezember in Südfrankreich.

Ich habe selber mit meinem Wohnungsschlüssel

aufgeschlossen.»

«Es kann also niemand Ihre Behauptung bestätigen, daß

Sie zu der von Ihnen angegebenen Zeit nach Hause kamen?»

Harold blickte den Inspektor finster an.

«Ich vermute, die Hausangestellten hörten mich kommen.

Aber wirklich, Inspektor -»

«Entschuldigen Sie, Mr. Crackenthorpe, ich weiß, daß

derartige Fragen äußerst unbequem sind, aber ich bin

beinahe fertig. Besitzen Sie einen eigenen Wagen?»

«Ja, einen Humber Hawk. »

«Fahren Sie selber?»

«Ja. Ich fahre allerdings nicht oft. Eigentlich nur am Wochenende.

In London am Steuer zu sitzen ist heutzutage alles

andere als ein Vergnügen.»

«Ich nehme an, Sie benutzen Ihren Wagen, wenn Sie

nach Brackhampton fahren, um Ihre Verwandten zu

besuchen?»

«Nur, wenn ich die Absicht habe, einige Zeit dort zu bleiben.

Handelt es sich um eine einzige Nacht, wie zum

Beispiel bei der Leichenschau kürzlich, dann benutze ich

meistens die Eisenbahn. Es geht bedeutend schneller.»

«Wo haben Sie Ihren Wagen untergebracht?»

«In einer Garage in der Nähe der Cardigan Gardens.

Noch mehr Fragen?»

«Ich denke, das ist im Augenblick alles», schloß der

Inspektor lächelnd. «Entschuldigen Sie, daß ich Sie habe

belästigen müssen.»

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Als die beiden Beamten gegangen waren, bemerkte der

stets mißtrauische Wetherall:

«Er mochte diese Fragen nicht, er mochte sie ganz und

gar nicht. Er geriet völlig außer Fassung. »

«Wenn Sie keinen Mord begangen haben, verdrießt es

Sie zweifellos, daß sie verdächtigt werden», erwiderte

Inspektor Craddock. «Natürlich muß ein Mann wie Harold

Crackenthorpe, der auf sein Ansehen großen Wert legt, ganz

besonders empört sein. Seine Entrüstung hat also nichts zu

bedeuten. Wir müssen jetzt versuchen festzustellen, ob

tatsächlich jemand Harold Crackenthorpe an jenem

Nachmittag auf der Auktion und in der Teestube gesehen

hat. Er hätte gut Zeit gehabt, den Zug 16 Uhr 33 zu

benutzen, die Frau aus dem Zug zu werfen, nach London

zurückzukehren und pünktlich zum Dinner zu erscheinen.

Ebenso wäre es ihm zweifellos möglich gewesen, in der

Nacht nach Brackhampton zu fahren, die Leiche in dem

Sarkophag zu verstecken und nach London zurückzukehren.

Stellen Sie Nachforschungen an.»

«Jawohl, Sir. Halten Sie ihn tatsächlich für den Mörder?»

«Wer kann es wissen?» entgegnete Inspektor Craddock.

«Er ist groß, hat dunkles Haar, hätte den Zug benutzen

können und kennt Rutherford Hall. Zweifellos kommt er als

Verdächtiger in Frage. Und nun zu seinem Bruder Alfred.»

Alfred Crackenthorpe wohnte in West Hampstead in

einem großen modernen Gebäude. Seine Wohnung war

außerordentlich dürftig ausgestattet – Tisch, Schlafcouch, ein

paar Stühle.

Er begrüßte seine Besucher mit einem freundlichen Lächeln,

schien aber nervös zu sein.

«Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Inspektor?»

fragte er.

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«Nein, danke, Mr. Crackenthorpe. Kommen wir am

besten gleich zur Sache!» erwiderte Craddock und sagte

seinen Spruch.

«Was ich am Nachmittag und Abend des 2o. Dezember

gemacht habe?» wiederholte Alfred Crackenthorpe etwas

verwundert. «Wie soll ich das wissen? Das ist schon über

drei Wochen her.»

«Ihr Bruder Harold hat uns ganz genau sagen können, wo

er zu jener Zeit gewesen ist.»

«Harold vielleicht – aber nicht Alfred.» Etwas neidischboshaft

fügte er hinzu: «Harold ist das erfolgreichste Familienmitglied,

er ist rührig, nützlich, voll beschäftigt und hat

doch Zeit für alles. Selbst wenn er, sagen wir, einen Mord

begehen wollte, würde bestimmt alles planmäßig abrollen.»

«Haben Sie einen besonderen Grund, daß Sie gerade die –

ses Beispiel wählen?»

«O nein. Es kam mir nur so in den Sinn als Gipfel der

Verrücktheit.»

«Und nun, wie steht es mit Ihnen selber?»

Alfred zuckte die Schultern.

«Ich habe kein Gedächtnis für Zeit und Ort. Fragten Sie

mich nach dem Weihnachtstag, dann würde ich antworten

können, denn das Fest bietet doch einen gewissen Anhaltspunkt.

Weihnachten waren wir alle bei meinem Vater in

Brackhampton. Warum eigentlich, weiß ich nicht. Er zetert

immer über die Ausgaben, die er hat, wenn wir ihn besuchen.

Er würde aber auch zetern, wenn wir nie kämen. Eigentlich

tun wir es nur unserer Schwester zuliebe.»

«Und in diesem Jahr fuhren Sie also auch nach

Rutherford Hall?»

«Ja.»

«Unglücklicherweise wurde Ihr Vater krank, wenn ich

recht unterrichtet bin?»

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Craddock verfolgte bewußt eine Seitenlinie, wobei er

einer Art Instinkt gehorchte, der ihn oft leitete.

«Ja. Da er für gewöhnlich wie ein Sperling ißt, um Geld

zu sparen, so konnte es nicht ausbleiben, daß das

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