Padington by Agatha Christie

«Und das war der Fall, wenn Familienmitglieder da waren?

»

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«Ja. Und es schien ja auch durchaus verständlich. Aber,

offen gestanden, Inspektor, war ich nicht recht zufrieden. Ich

ging so weit, daß ich an den alten Dr. Morris schrieb. Er war

mein Seniorpartner gewesen und nun im Ruhestand. Crackenthorpe

war ursprünglich sein Patient. Ich fragte ihn nach

den früheren Anfällen, die der alte Mann gehabt hatte.»

«Und was antwortete Ihnen Dr. Morris?»

Quimper grinste:

«Er lachte mich aus. Ich solle doch kein verdammter Narr

sein. Nun» – er zuckte die Achseln – «vermutlich war ich

tatsächlich ein verdammter Narr.»

«Wirklich?»

Craddock entschloß sich, offen zu sprechen.

«Wir wollen einmal die Diskretion beiseite lassen,

Doktor. Es gibt Leute, die beträchtliche Vorteile zu erwarten

haben, wenn Luther Crackenthorpe stirbt.» Der Doktor

nickte. «Er ist zwar ein alter Mann, aber verhältnismäßig

gesund. Er könnte neunzig werden, nicht wahr?»

«Leicht. Er tut ja nichts weiter, als für seine Gesundheit

zu sorgen, und seine Konstitution ist ausgezeichnet.»

«Und seine Söhne und seine Tochter fühlen alle den

Druck?»

«Lassen Sie Emma aus dem Spiel! Sie ist keine

Giftmischerin! Im übrigen kommt es zu diesen Anfällen nur,

wenn die andern da sind, nicht wenn sie mit ihm allein ist.»

Das wäre nur eine elementare Vorsichtsmaßnahme – falls

sie die Schuldige ist, dachte der Inspektor bei sich.

«Dann kann man wohl sagen – ich bin ein Laie auf

diesem Gebiet -, daß, angenommen, es wurde ihm wirklich

Arsenik eingegeben, Crackenthorpe viel Glück gehabt hat?»

«Sehen Sie», erwiderte der Arzt, «da sprechen Sie einen

merkwürdigen Punkt an. Es ist nämlich offenbar nicht so,

daß ihm regelmäßig kleine Dosen Arsenik zugeführt wurden

– wie es ja bei der Methode der Arsenikvergif-

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tung der Fall zu sein pf legt. Crackenthorpe hat niemals chronische

gastrische Störungen gehabt. Das aber macht gewissermaßen

diese plötzlichen heftigen Attacken verdächtig.

Nehmen wir also an, sie erklären sich nicht aus natürlichen

Ursachen, dann muß der Giftmischer jedesmal pfuschen

-und das wäre doch einfach unbegreiflich.»

«Sie meinen, daß er eine ungenügende Dosis gibt?»

«Ja. Andererseits hat Crackenthorpe eine kräftige Konstitution,

und was für einen andern Mann tödlich wäre, braucht

ihn darum noch lange nicht umzuwerfen. Man sollte aber

meinen, der Giftmischer müsse nach und nach – es sei denn,

er sei ungewöhnlich ängstlich – die Dosis gesteigert haben.

Warum hat er das nicht getan?»

«Das heißt>, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu,

«wenn tatsächlich ein Giftmischer am Werk wäre, und das

ist eben wahrscheinlich doch nicht der Fall. Wahrscheinlich

ist einfach meine Phantasie mit mir durchgegangen.»

«Es ist ein merkwürdiges Problem», stimmte der

Inspektor zu. «Man sucht vergebens nach einem Sinn.»

«Inspektor Craddock!» flüsterte es aufgeregt.

Der Inspektor zuckte zusammen. Er hatte gerade an der

Wohnungstür läuten wollen.

Alexander und sein Freund Stoddart-West traten, sich

vorsichtig nach allen Seiten umblickend, aus dem Schatten.

«Wir hörten Ihren Wagen. Wir müssen mit Ihnen sprechen.

»

«Schön! Dann kommt herein!»

Craddock streckte wieder die Hand nach der Klingel aus,

Alexander aber zupfte mit dem Eifer eines Hündchens, das

spielen möchte, an seinem Mantel.

«Wir haben ein Indiz gefunden», stieß er atemlos hervor.

«Ja, wir haben eins gefunden!» echote Stoddart-West.

Dieses verteufelte Mädchen! dachte Craddock.

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«Famos!» sagte er ohne großes Interesse. «Gehen wir ins

Haus und sehen es uns an!»

«Nein!» beharrte Alexander. «Sicher stört uns dort

jemand. Kommen Sie mit in die Geschirrkammer! Wir

zeigen Ihnen den Weg.»

Etwas widerstrebend ließ Craddock sich um die Ecke des

Hauses führen und folgte den Jungen zu den Stallungen.

Stoddart-West stieß eine schwere Tür auf, reckte den Arm

und schaltete eine sehr schwache Glühbirne ein. Die Geschirrkammer,

einst ein Glanzstück von Rutherford Hall,

war jetzt der melancholische Aufbewahrungsort für alles,

was man los sein wollte. Zerbrochene Gartenstühle,

verrostete alte Werkzeuge, eine riesige, nicht mehr zu

gebrauchende Mähmaschine, vom Rost zerfressene

Spiralfedern, Hängematten und zerlöcherte Tennisnetze.

«Wir kommen ziemlich oft hierher», sagte Alexander.

«Man ist hier ganz ungestört.»

«Es ist ein wirkliches Indiz, Sir>, sagte Stoddart-West

mit funkelnden Augen. «Wir haben es heute nachmittag

gefunden.»

«Die ganzen letzten Tage haben wir nach Spuren gesucht.

In den Büschen -»

«Und in den hohlen Bäumen -»

«Und wir haben die Müllkästen durchwühlt -»

«Und dann gingen wir ins Dampfkesselhaus -»

«Der alte Hillmann hat dort einen großen Zuber aufgestellt,

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