S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Eines Abends im Jahr 1970, kurz nach der Geburt meiner Tochter Lucy, dachte ich beim Zubettgehen über Schwarze Lö-

cher nach. Plötzlich erkannte ich, daß sich viele der Verfahren, die Penrose und ich entwickelt hatten, um Singularitäten nach-zuweisen, auf Schwarze Löcher anwenden lassen. Vor allem, überlegte ich, kann die Fläche des Ereignishorizonts, die Grenze des Schwarzen Loches nicht mit der Zeit abnehmen. Und wenn zwei Schwarze Löcher kollidieren und sich zu einem einzigen Loch vereinigen, müßte die Horizontfläche des resultierenden Loches größer sein als die Summe der Horizontflächen der ursprünglichen Schwarzen Löcher. Das schränkt, wie ich erkannte, die Energiemenge erheblich ein, die bei der Kollision emittiert werden kann. Ich war so aufgeregt, daß ich in dieser Nacht nicht viel Schlaf fand.

Von 1970 bis 1974 arbeitete ich hauptsächlich über Schwarze Löcher. Doch 1974 machte ich meine vielleicht überraschendste Entdeckung: Schwarze Löcher sind nicht vollständig schwarz!

Wenn man das Verhalten von Materie in sehr kleinen Größenordnungen berücksichtigt, können Teilchen und Strahlung aus einem Schwarzen Loch sickern. Das Schwarze Loch emittiert Strahlung, als wäre es ein warmer Körper.

Seit 1974 arbeite ich daran, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik zu einer schlüssigen Theorie zusammenzufassen. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist die These, die ich 1983 zusammen mit Jim Hartle von der University of California in Santa Barbara vorgeschlagen habe: Zeit und Raum sind endlich in ihrer Ausdehnung, haben aber keine Grenze und keinen Rand. Sie wären damit wie die Oberfläche der Erde, nur daß sie zwei weitere Dimensionen hätten. Die Oberfläche der Erde ist endlich, weist aber keine Grenze auf. Bei keiner meiner vielen

Reisen ist es mir bisher gelungen, über den Rand der Erde zu fallen. Wenn diese Keine-Grenzen-Hypothese richtig ist, gäbe es keine Singularitäten, und die Naturgesetze behielten überall ihre Gültigkeit, auch im Anfang des Universums. Die Art, wie das Universum entstanden ist, wäre den Gesetzen der Wissenschaft unterworfen. Mein Vorhaben herauszufinden, wie das Universum begonnen hat, wäre damit in die Tat umgesetzt. Ich weiß aber noch immer nicht, warum es begonnen hat.

Meine Erfahrung

mit ALS *

Oft werde ich gefragt: Was bedeutet es für Sie, ALS zu haben? Die Antwort lautet: Nicht sehr viel. Ich versuche, so normal wie möglich zu leben, nicht über meine Krankheit nachzudenken oder den Dingen nachzutrauern, die ich ihretwegen nicht tun kann – es sind im übrigen gar nicht so viele.

Als ich entdeckte, daß ich unter amyotropher Lateralsklerose leide, war es ein großer Schock für mich. Schon in meiner Kindheit ist meine körperliche Koordination nicht sehr entwickelt gewesen. Ich war nicht gut in Ballspielen, und wohl deshalb habe ich nie viel von Sport oder körperlicher Betätigung gehalten.

Doch das schien sich zu ändern, als ich nach Oxford ging. Dort wurde ich Steuermann beim Rudern. Ich gehörte zwar nicht zur

«Boat-Race»-Klasse, nahm aber doch an den Regatten zwischen den Colleges teil.

In meinem dritten Oxforder Jahr bemerkte ich jedoch, daß ich offenbar unbeholfener wurde. Ein-, zweimal stürzte ich ohne

*

Vortrag bei einer Konferenz der British Motor Neurone Disease Association in Birmingham, Oktober 1987.

erkennbaren Grund. Meiner Mutter fiel dieses erst im folgenden Jahr auf, als ich bereits in Cambridge war, woraufhin sie mit mir unseren Hausarzt aufsuchte. Der überwies mich an einen Fach-arzt, und kurz nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag ging ich ins Krankenhaus, um mich untersuchen zu lassen. Dort wurde ich zwei Wochen lang einer Reihe verschiedener Tests unterzogen. Sie entnahmen meinem Arm eine Muskelprobe, pflanzten mir Elektroden ein, injizierten ein Kontrastmittel in meine Wirbelsäule und beobachteten seine Bewegungen auf dem Röntgenschirm, während sie das Bett kippten. Danach teilte man mir aber nicht mit, was ich hatte, nur daß es keine multiple Sklerose und ich ein atypischer Fall sei. Ich begriff jedoch, daß die Ärzte mit einer Verschlechterung meines Zustands rechneten und nichts tun konnten, außer mir Vitamine zu geben, wo-von sie sich aber offenbar keine große Wirkung versprachen.

Allerdings war ich auch nicht in der Stimmung, nach Einzelheiten zu fragen, weil sie mit Sicherheit nicht erfreulich gewesen wären.

Die Erkenntnis, daß ich an einer unheilbaren Krankheit litt, an der ich wahrscheinlich in ein paar Jahren sterben würde, war ein ziemlicher Schock. Wie konnte mir so etwas passieren? Warum sollte meinem Leben ein so plötzliches Ende gesetzt werden?

Doch während meines Krankenhausaufenthaltes wurde ich Zeuge, wie ein Junge, den ich flüchtig kannte, im gegenüberste-henden Bett an Leukämie starb. Es war kein schöner Anblick. Ich fühlte mich zumindest nicht krank. Seither denke ich immer an diesen Jungen, wenn ich versucht bin, mich zu bemitleiden.

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