S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Da mir nicht bekannt war, was mit mir geschehen oder wie rasch die Krankheit fortschreiten würde, wußte ich nicht recht weiter. Die Ärzte rieten mir, nach Cambridge zurückzukehren und mit der gerade begonnenen Arbeit über allgemeine Relativitätstheorie und Kosmologie fortzufahren. Doch ich kam nicht gut voran, weil meine mathematischen Kenntnisse recht be-

grenzt waren. Und überhaupt – wer konnte wissen, ob ich lange genug leben würde, um meine Promotion abzuschließen? Ich fühlte mich als tragische Gestalt. Damals hörte ich viel Wagner, aber die Zeitschriftenberichte, denen zufolge ich unmäßig getrunken habe, sind übertrieben. Das Problem ist, daß solche Behauptungen, sind sie erst einmal veröffentlicht, in anderen Artikeln ständig wiederholt werden, weil sie eine gute Story liefern. Und was so oft gedruckt zu lesen ist, muß einfach wahr sein.

Meine Träume waren damals ziemlich wirr. Bevor meine Krankheit erkannt worden war, hatte mich mein Leben gelangweilt. Nichts schien mir irgendeiner Mühe wert zu sein. Doch kurz nachdem ich aus dem Krankenhaus gekommen war, träumte ich, ich solle hingerichtet werden. Plötzlich begriff ich, daß es eine Reihe wertvoller Dinge gab, die ich tun könnte, wenn mir ein Aufschub gewährt würde. In einem anderen Traum, der sich mehrfach wiederholte, opferte ich mein Leben, um andere zu retten. Wenn ich schon sterben mußte, konnte ich wenigstens noch etwas Gutes tun.

Aber ich bin nicht gestorben. Trotz des dunklen Schattens, der über meiner Zukunft lag, stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß ich das Leben jetzt mehr genoß als früher. Ich kam mit meiner Arbeit gut voran, verlobte mich und heiratete und erhielt ein Forschungsstipendium am Caius College in Cambridge.

Das Stipendium bot zunächst eine Lösung für mein berufliches Problem. Glücklicherweise hatte ich mich schon früh für die theoretische Physik entschieden, ein Gebiet, auf dem mich meine Krankheit nicht ernstlich beeinträchtigte. Und ich hatte das Glück, daß nicht nur meine körperliche Behinderung schlimmer wurde, sondern auch mein wissenschaftliches Ansehen wuchs. So bot man mir eine Reihe von Stellungen an, in denen ich mich ganz der Forschung widmen konnte, ohne Lehrauf-gaben wahrnehmen zu müssen.

Glück hatten wir auch bei der Wohnungssuche. Als wir heira-

teten, war Jane noch Studentin am Westfield College in London, wo sie die ganze Woche über lebte. Deshalb mußten wir eine Wohnung finden, die ich allein versorgen konnte und die zentral gelegen war, denn sehr weit gehen konnte ich nicht. Als ich das College um Hilfe bat, mußte ich mir vom Quästor sagen lassen, es entspreche nicht den Gepflogenheiten des College, Fellows bei der Wohnungssuche zu helfen. So unterschrieben wir einen Mietvertrag für eine Wohnung in einem Apartmenthaus, das gerade am Marktplatz erbaut wurde. (Jahre später erfuhr ich, daß diese Wohnungen dem College gehörten, was mir damals aber niemand mitgeteilt hatte.) Als wir nach dem Sommer in den USA nach Cambridge zurückkehrten, stellten wir fest, daß die Wohnungen noch immer nicht fertig waren. Der Quästor bot uns mit großzügiger Geste ein Zimmer in einem Studentenwohnheim an.

«Normalerweise nehmen wir zwölf Shilling sechs Pence pro Tag», erklärte er, «aber da Sie zu zweit in dem Zimmer wohnen werden, müssen wir fünfundzwanzig Shilling verlangen.»

Wir blieben nur drei Tage. Dann entdeckten wir ein kleines Haus nur hundert Meter vom Seminar entfernt. Es gehörte einem anderen College, das es an einen seiner Fellows vermietet hatte.

Dieser war vor kurzem in einen Vorort gezogen und überließ es uns für die verbleibenden drei Monate, die sein Mietvertrag noch gültig war. In dieser Zeit stellten wir fest, daß ein weiteres Haus in derselben Straße leer stand. Ein Nachbar redete auf die Eigentümerin aus Dorset ein, es sei ein Skandal, daß sie ihr Haus unbe-wohnt lasse, während junge Leute verzweifelt nach einer Bleibe suchten. Da vermietete sie uns das Haus. Nachdem wir dort einige Jahre gelebt hatten, wollten wir es kaufen und renovieren. Also baten wir das College um eine Hypothek. Doch das College prüfte das Objekt und gelangte zu dem Ergebnis, es sei keine gute Geld-anlage. Schließlich bekamen wir die Hypothek von einer Woh-nungsbaugesellschaft, und meine Eltern gaben uns das Geld für die Renovierung.

Nachdem wir dort weitere vier Jahre gewohnt hatten, wurde mir das Treppensteigen zu beschwerlich. Inzwischen wußte mich das College besser zu schätzen, und der Quästor hatte ge-wechselt. So bot man uns in einem dem Caius College gehörenden Gebäude eine Parterrewohnung an. Sie kommt meinem Be-dürfnis sehr entgegen, weil sie große Räume und breite Türen hat. Außerdem liegt sie so zentral, daß ich mit meinem elektrischen Rollstuhl bequem ins Seminar oder ins College gelangen kann. Auch unseren drei Kindern hat es dort gefallen, denn das Haus liegt in einem Garten, der von Collegegärtnern gepflegt wird.

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