S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Eine Zeitlang konnte ich mich nur verständigen, indem ich die Augenbrauen hob, wenn jemand den richtigen Buchstaben auf einer Karte mit dem Abc zeigte. Unter diesen Umständen wäre es völlig unmöglich gewesen, das Buch zu beenden, hätte ich nicht das Computerprogramm bekommen, das mir half, mich zu verständigen. Es ging ein bißchen langsam, aber ich bin auch kein schneller Denker, und deshalb paßt es zu mir. Mit Hilfe dieses Systems schrieb ich, den Kommentaren und Fragen Guzzardis folgend, den ersten Entwurf fast völlig um. Bei der Über-arbeitung hat mir Brian Whitt, einer meiner Studenten, geholfen.

Jacob Bronowskis Fernsehserie (ein derart sexistischer Titel würde heute wohl nicht mehr durchgehen) hat mir sehr imponiert. Sie vermittelte dem Zuschauer einen Eindruck von der gewaltigen Leistung der Menschheit – in nur fünfzehntausend Jahren hat sie es vom primitiven Wilden zum heutigen Entwicklungsstand gebracht. Ich wollte etwas Ähnliches zeigen, wollte herausarbeiten, welche Fortschritte wir bei dem Versuch gemacht haben, die Gesetze zu verstehen, die dem Universum zugrunde liegen. Ich war mir sicher, daß fast jeder wissen will, wie das Universum funktioniert, daß aber die meisten Menschen mit mathematischen Gleichungen nichts anfan-gen können. Auch ich lege keinen großen Wert auf Gleichungen

– zum Teil deshalb, weil es mir schwerfallt, sie niederzuschrei-ben, vor allem aber, weil ich kein intuitives Gefühl für Gleichun-

gen habe. Ich denke in Bildern; deshalb war es mein Ziel, diese Vorstellungsbilder mit Hilfe vertrauter Analogien und einiger Grafiken in Worte zu fassen. Dann müßten, meinte ich, die meisten Leser meine Begeisterung und meinen Stolz teilen können –

den Stolz auf die großen Fortschritte, die die Physik in den letzten fünfundzwanzig Jahren erzielt hat.

Selbst wenn man auf die Mathematik verzichtet, sind einige der Ideen fremdartig und schwer zu erklären. Damit stand ich vor folgendem Problem: Sollte ich versuchen, sie zu erklären, und damit Gefahr laufen, die Leser zu verwirren, oder sollte ich die Schwierigkeiten einfach übergehen? Einige komplizierte Begriffe, etwa der Umstand, daß Beobachter, die sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten fortbewegen, unterschiedliche Zeitintervalle zwischen denselben Ereignispaaren messen, waren nicht wesentlich für das Bild, das ich entwerfen wollte. So beschloß ich, sie einfach zu erwähnen, ohne näher auf sie ein-zugehen. Doch andere schwierige Ideen waren von entscheidender Bedeutung für das, was ich vermitteln wollte. Das galt vor allem für zwei Konzepte, auf die ich nicht verzichten wollte. Das eine war die sogenannte «Aufsummierung von Möglichkeiten», die Vorstellung, daß das Universum nicht nur eine Geschichte hat, sondern jede mögliche Geschichte, und alle diese geschichtlichen Entwicklungen sind gleich wirklich (was immer das bedeuten mag). Die andere Idee, ohne die die Aufsummierung von Möglichkeiten keinen Sinn ergibt, ist die

«imaginäre Zeit». In der Rückschau scheint mir, daß ich mir mehr Mühe hätte geben sollen, diese beiden sehr schwierigen Begriffe zu erklären, besonders die imaginäre Zeit, mit der die Leser des Buches offenbar die größten Probleme haben. Es ist jedoch nicht wirklich notwendig, genau zu verstehen, was imaginäre Zeit ist. Man muß nur wissen, daß sie sich von der sogenannten realen Zeit unterscheidet.

Kurz vor Erscheinen des Buches stellte ein Wissenschaftler,

dem man vorab ein Exemplar geschickt hatte, damit er es für die Zeitschrift Nature rezensiere, entsetzt fest, daß es voller Fehler war: Fotos und Diagramme standen am falschen Platz oder waren falsch beschriftet. Sofort rief er bei Bantam an, wo man ebenso entsetzt war und noch am selben Tag beschloß, die Aus-lieferung zu stoppen und die gesamte Auflage einzustampfen.

Drei Wochen fieberhafter Korrektur- und Lektoratsarbeiten waren nötig, um das Buch doch noch rechtzeitig zum angekün-digten Erscheinungstermin im April in die Buchhandlungen zu bringen. Inzwischen hatte das Magazin Time ein Porträt von mir veröffentlicht. Dennoch wurde der Verlag von der Nachfrage überrascht. Das Buch erlebt in Amerika jetzt seine siebzehnte und in Großbritannien seine zehnte Auflage. *

Warum wird es von so vielen Menschen gekauft? Da ich selbst schwer beurteilen kann, ob ich objektiv bin, halte ich mich an die Aussagen anderer. Allerdings fand ich die meisten Kritiken, so positiv sie waren, wenig aufschlußreich. In der Regel gingen sie nach folgendem Schema vor: Stephen Hawking hat Lou Gerig’s disease (die amerikanische Bezeichnung für amyotrophe Lateralsklerose) oder motor neurone disease (die englische Bezeichnung). Er sitzt im Rollstuhl, kann nicht sprechen und nur x Finger bewegen (wobei .r eine Zahl zwischen eins und drei annehmen konnte, je nachdem, welchen der ungenauen Artikel über mich der jeweilige Kritiker gelesen hatte). Trotzdem hat er dieses Buch über die größte aller Fragen geschrieben: Woher kommen wir, und wohin gehen wir? Die Antwort, die Hawking vorschlägt, lautet: Das Universum wird weder erschaffen noch vernichtet – es IST einfach. Um diese Idee zu formulieren, führt Hawking den Begriff der imaginären Zeit ein, den ich (der Re-

Pages: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Leave a Reply 0

Your email address will not be published. Required fields are marked *