S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Zum Teil erwuchsen Einsteins Probleme mit der Quantenmechanik und dem Unbestimmtheitsprinzip aus dem Umstand, daß er von der normalen, alltäglichen Vorstellung ausging, der zufolge ein System eine bestimmte Geschichte hat. Ein Teilchen befindet sich danach entweder an diesem oder an einem anderen Ort. Es kann nicht halb an diesem und halb an jenem sein. Genauso hat ein Ereignis, etwa die Landung von Astronauten auf dem Mond, entweder stattgefunden oder nicht. Es kann nicht halb stattgefunden haben, genausowenig wie man ein bißchen tot oder ein bißchen schwanger sein kann. Man ist es oder man ist es nicht. Doch wenn ein System eine einzige eindeutige Geschichte hat, führt das Unbestimmtheitsprinzip zu allen mög-

liehen Paradoxa, wie Teilchen, die an zwei Orten zugleich, oder Astronauten, die nur halb auf dem Mond sind.

Eine elegante Methode, diese für Einstein so beunruhigenden Paradoxa zu vermeiden, hat der amerikanische Physiker Richard Feynman vorgeschlagen. Feynman machte sich 1948 mit seinen Arbeiten über die Quantentheorie des Lichts einen Namen. 1965

erhielt er zusammen mit seinem Landsmann Julian Schwinger und dem japanischen Physiker Shinichiro Tomonaga den Nobelpreis. Er war wie Einstein Physiker mit Leib und Seele. Pomp und Getue waren ihm verhaßt. So trat er aus der National Academy of Sciences mit der Begründung aus, man sei dort vor allem damit beschäftigt zu entscheiden, wer in die Akademie aufgenommen werden solle und wer nicht. Feynman, der 1988

starb, bleibt dank seiner vielen wichtigen Arbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Physik unvergessen. Dazu gehören auch die Diagramme, die seinen Namen tragen und die Grundlage für fast jede Berechnung in der Teilchenphysik sind. Ein noch wichtigerer Beitrag jedoch war seine Pfadintegralmethode, das Konzept der Aufsummierung von Möglichkeiten. Danach hat ein System nicht nur eine einzige Geschichte in der Raumzeit, wie man es normalerweise in einer klassischen, nichtquantenmecha-nischen Theorie annähme, sondern jede Geschichte, die möglich ist. Stellen wir uns beispielsweise ein Teilchen vor, das sich in einem bestimmten Moment an einem Punkt A befunden hat.

Normalerweise ginge man davon aus, daß es sich in gerader Linie von A fortbewegt. Doch nach der Pfadintegralmethode könnte es sich auf jedem in A beginnenden Weg bewegen. Es gleicht dem Geschehen, das zu beobachten ist, wenn man einen Tropfen Tinte auf ein Stück Löschpapier fallen läßt. Die Tintenteilchen breiten sich auf jedem möglichen Weg durch das Löschpapier aus. Selbst wenn man die gerade Linie zwischen zwei Punkten unterbricht, indem man das Papier einschneidet, wird die Tinte weiterkriechen.

Jedem Weg, jeder Geschichte des Teilchens ist eine Zahl zugeordnet, die von der Form des Weges abhängt. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Teilchen von A nach B bewegt, ergibt sich aus der Summe der Zahlen, die mit allen das Teilchen von A nach B befördernden Wegen verknüpft sind. Bei den meisten Wegen werden sich die ihnen zugeordneten Zahlen mit den Zahlen na-hegelegener Wege nahezu aufheben. Ihr Beitrag zur Wahrscheinlichkeit, daß das Teilchen von A nach B gelangt, bleibt also gering. Dagegen addieren sich die Zahlen gerader Wege mit den Zahlen von Wegen, die fast gerade sind. Den Hauptbeitrag zur Wahrscheinlichkeit liefern also Wege, die gerade oder fast gerade sind. Deshalb sieht die Spur eines Teilchens, das sich durch eine Blasenkammer bewegt, fast gerade aus. Doch wenn man dem Teilchen eine Art Wand mit einem Spalt in den Weg stellt, können sich die Pfade des Teilchens jenseits des Spalts ausbrei-ten. Die Wahrscheinlichkeit kann groß sein, das Teilchen dahin-ter abseits des direkten Weges durch den Spalt vorzufinden.

1973 begann ich zu untersuchen, welche Auswirkung das Unbestimmtheitsprinzip auf ein Teilchen in der gekrümmten Raumzeit nahe einem Schwarzen Loch hätte. Erstaunlicher-weise stellte ich fest, daß das Schwarze Loch nicht vollständig schwarz wäre. Das Unbestimmtheitsprinzip würde Teilchen und Strahlung gestatten, dem Schwarzen Loch in stetiger Rate zu entweichen. Mit diesem Ergebnis hatte weder ich noch irgend jemand anders gerechnet, und deshalb begegnete man ihm zu-nächst mit allgemeiner Skepsis. Ein Schwarzes Loch ist eine Raumregion, aus der kein Entkommen möglich ist, wenn man sich mit einer geringeren Geschwindigkeit als der des Lichtes fortbewegt. Doch nach Feynmans Aufsummierung von Möglichkeiten können Teilchen jeden Weg durch die Raumzeit nehmen. Damit kann sich ein Teilchen auch schneller als das Licht bewegen. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich über eine weite Distanz mit höherer Geschwindigkeit als das Licht bewegt, ist

gering, aber es kann gerade lange genug die Lichtgeschwindigkeit überschreiten, um aus dem Schwarzen Loch zu entweichen –

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