S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

ändert hat. In einem statischen, unveränderlichen Universum gehört die Frage, ob es seit jeher existiert oder ob es zu einem bestimmten Zeitpunkt erschaffen wurde, tatsächlich in die Metaphysik oder Religion. Beide könnten ein solches Universum erklären. So hat der Philosoph Immanuel Kant 1781 ein umfang-reiches und schwer verständliches Werk veröffentlicht, , in dem er zu dem Schluß gelangt, es gebe ebenso überzeugende Argumente für die Annahme, das Universum habe einen Anfang, wie für die gegenteilige Überzeugung. Wie aus dem Titel ersichtlich, stützte er sich in seinen Schlußfolgerungen ausschließlich auf die Vernunft, mit anderen Worten, er ließ jegliche empirische Himmelsbeobachtung unberücksichtigt. Was sollte es auch in einem unveränderlichen Universum zu beobachten geben ?

Im 19. Jahrhundert häuften sich jedoch die Hinweise dafür, daß die Erde und der Rest des Universums sich mit der Zeit ver-

ändern. Außerdem stellten Geologen fest, daß die Gesteinsarten und die in ihnen enthaltenen Fossilien Hunderte oder Tausende von Jahrmillionen zu ihrer Bildung gebraucht haben müssen.

Das übertraf das von den Anhängern der Schöpfungslehre errechnete Alter der Erde bei weitem. Der von dem österreichi-schen Physiker Ludwig Boltzmann entwickelte Zweite Hauptsatz der Thermodynamik lieferte weitere Anhaltspunkte. Ihm zufolge wächst die Gesamtmenge der Unordnung im Universum (gemessen durch eine Größe, die man als Entropie bezeichnet) mit der Zeit stets an. Daraus folgt – wie aus dem Argument, das auf den menschlichen Fortschritt verweist -, daß das Universum nur seit endlicher Zeit existieren kann. Sonst müßte es inzwischen in einen Zustand vollständiger Unordnung verfallen sein, in dem alles die gleiche Temperatur hätte.

Man hatte noch eine weitere Schwierigkeit mit dem Konzept des statischen Universums: Nach Newtons Gravitationsgesetz müßte jeder Stern im Universum von jedem anderen Stern an-

gezogen werden. Wie können sie dann bewegungslos in gleicher Entfernung voneinander verharren? Müßten sie nicht alle aufeinander zustürzen?

Newton war sich dieses Problems bewußt. In einem Brief an Richard Bentley, einen führenden Philosophen jener Zeit, räumte er ein, daß eine endliche Anzahl von Sternen nicht bewegungslos bleiben könnte: Sie würden in einem zentral gelegenen Punkt zusammenfallen. Doch eine unendliche Anzahl von Sternen, so meinte er, fiele nicht zusammen, denn es gäbe keinen Mittelpunkt, auf den sie sich zubewegen könnten. Dieses Argument ist ein Beispiel für die Fallen, in die man tappen kann, wenn man über unendliche Systeme spricht. Je nachdem, wie man die Kräfte addiert, die auf jeden Stern von den unendlich vielen anderen Sternen im Universum ausgeübt werden, wird man zu unterschiedlichen Antworten auf die Frage kommen, ob die Sterne in konstanter Entfernung voneinander verharren können. Wir wissen heute, daß das richtige Verfahren darin besteht, zunächst eine endliche Region von Sternen zu betrachten und dann immer weitere Sterne hinzuzufügen, die außerhalb dieser Region in etwa gleichförmig verteilt sind. Eine endliche Anzahl von Sternen wird in sich zusammenstürzen. Nach Newtons Gravitationsgesetz kann man außerhalb der Region beliebig viele Sterne hinzufügen, ohne dadurch den Kollaps aufzuhalten. Folglich kann eine unendliche Anzahl von Sternen nicht in einem bewe-gungslosen Zustand verharren. Wenn sie sich zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht relativ zueinander bewegen, wird die Anziehungskraft zwischen ihnen dazu führen, daß sie aufeinander zufallen. Sie könnten sich aber auch voneinander fortbewegen, wobei die Schwerkraft ihre Fluchtgeschwindigkeit allmählich verlangsamen würde.

Trotz der Schwierigkeiten, die das Konzept eines statischen und unveränderlichen Universums bereitete, kam im siebzehnten, achtzehnten, neunzehnten bis zum Beginn des zwanzigsten

Jahrhunderts niemand auf die Idee, das Universum könnte sich mit der Zeit entwickeln. Sowohl Newton als auch Einstein ver-paßten die Chance vorherzusagen, daß das Universum sich entweder zusammenzieht oder ausdehnt. Newton kann man kaum einen Vorwurf daraus machen – er lebte zweihundertfünfzig Jahre vor der aus Beobachtungen resultierenden Entdeckung, daß das Universum expandiert. Doch Einstein hätte es besser wissen müssen. Die 1915 aufgestellte allgemeine Relativitätstheorie sagte die Expansion des Weltalls vorher. Doch Einstein war so von der statischen Natur des Universums überzeugt, daß er seiner Theorie einen Term hinzufügte, um sie mit Newtons Theorie zu versöhnen und die Schwerkraft auszugleichen.

Als Edwin Hubble 1929 die Expansion des Universums entdeckte, erhielt die Diskussion über seinen Ursprung eine ganz andere Richtung. Wenn man vom gegenwärtigen Zustand der Galaxien ausgeht und ihn in der Zeit rückwärts laufen läßt, scheint es, als hätten sich die Galaxien zu einem bestimmten Zeitpunkt, vor zehn bis zwanzig Milliarden Jahren, alle überein-andergetürmt. Zu diesem Zeitpunkt, einer Singularität, die wir als Urknall bezeichnen, müßten die Dichte des Universums und die Krümmung der Raumzeit unendlich gewesen sein. Unter solchen Bedingungen würden alle bekannten Naturgesetze ihre Gültigkeit verlieren. Das wäre eine Katastrophe für die Wissenschaft, denn es würde bedeuten, daß die Wissenschaft allein keine Aussage über den Anfang des Universums machen könnte. Sie könnte nur feststellen: Das Universum ist, wie es jetzt ist, weil es war, wie es damals war. Aber sie könnte nicht erklären, warum es so war, wie es damals, das heißt kurz nach dem Urknall gewesen ist.

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