S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Natürlich fanden viele Wissenschaftler diese Konsequenz un-befriedigend. Deshalb wurden verschiedene Versuche unter-nommen, den Urknall zu umgehen. Einer war die sogenannte Steady-state-Theorie, die besagt, daß bei der Fluchtbewegung

der Galaxien in den Räumen zwischen ihnen ständig neue Materie entsteht, aus der sich neue Galaxien bilden. Das Universum hat dieser Theorie zufolge seit jeher weitgehend in seinem heutigen Zustand existiert und wird ewig im gleichen Zustand wie heute fortdauern.

Das Steady-state-Modell erforderte eine Modifikation der allgemeinen Relativitätstheorie, sonst wäre die Annahme, daß das Universum ständig expandiert und neue Materie erzeugt, nicht haltbar gewesen. Die notwendige Erzeugungsrate war sehr gering: ungefähr ein Teilchen pro Kubikkilometer im Jahr, was den Beobachtungsdaten nicht widersprochen hätte. Ferner sagte die Theorie vorher, daß die durchschnittliche Dichte der Galaxien und ähnlicher Objekte sowohl im Raum als auch in der Zeit konstant sein müsse. Bei einer Untersuchung von Radioquellen außerhalb unserer Galaxis kamen Martin Ryle und seine Arbeits-gruppe in Cambridge jedoch zu dem Ergebnis, daß es viel mehr schwache als starke Quellen gibt. Es wäre im Mittel zu erwarten, daß die schwachen Quellen sich in größerer Entfernung befinden, woraus sich zwei Möglichkeiten ergeben: Entweder leben wir in einer Region des Universums, in dem die Häufigkeit starker Quellen unter dem Durchschnitt liegt, oder die Dichte der Quellen war in der Vergangenheit größer, als das Licht von den ferneren Quellen zu seiner Reise zu uns aufbrach. Keine dieser Möglichkeiten vertrug sich mit der Vorhersage der Steady-state-Theorie, nach der die Dichte der Radioquellen in Raum und Zeit hätte konstant sein müssen. Das endgültige Aus für die Theorie kam 1965, als Arno Penzias und Robert Wilson eine Mikrowellen-Hintergrundstrahlung entdeckten, die aus Regionen weit jenseits unserer Galaxis kommt. Sie hat das charakte-ristische Spektrum einer Schwarzkörperstrahlung, deren Temperatur bei 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt liegt. Das Universum ist ein kalter, dunkler Ort! Die Steady-state-Theorie bot keinen akzeptablen Mechanismus, der Mikrowellen mit

einem solchen Spektrum hätte hervorbringen können. Deshalb mußte die Theorie aufgegeben werden.

Eine andere Theorie zur Vermeidung einer Urknallsingularität wurde 1963 von den beiden Russen Jewgenij Lifschitz und Isaak Chalatnikow vorgeschlagen. Ein Zustand unendlicher Dichte könnte nur eintreten, argumentierten sie, wenn die Galaxien sich direkt aufeinander zu oder voneinander fort bewegten.

Nur dann träfen sie sich alle in einem einzigen Punkt der Vergangenheit. Doch sei zu erwarten, daß die Galaxien auch kleine seitliche Geschwindigkeiten hätten, und dies würde es ermöglichen, daß es vorher eine Kontraktionsphase des Universums gegeben habe, in der es den Galaxien irgendwie gelungen sei, sehr nahe aneinanderzurücken und doch einen Zusammenprall zu vermeiden. Das Universum habe sich dann wieder ausgedehnt, ohne einen Zustand unendlicher Dichte zu durchlaufen.

Als Lifschitz und Chalatnikow ihre Hypothese vorbrachten, war ich «research student» und suchte nach einem Dissertations-thema. Ich interessierte mich für die Frage, ob es eine Urknallsingularität gegeben hat, weil sie von entscheidender Bedeutung ist, will man den Ursprung des Universums verstehen. Zusammen mit Roger Penrose entwickelte ich eine Reihe neuer mathematischer Verfahren zum Umgang mit diesem und ähnlichen Problemen. Wir wiesen nach, daß jedes vernünftige Modell des Universums mit einer Singularität beginnen muß, wenn die allgemeine Relativitätstheorie richtig ist. In diesem Falle könnte die Wissenschaft die Aussage machen, daß das Universum einen Anfang gehabt haben muß, sie könnte aber nicht vorhersagen, wie dieser Anfang ausgesehen hätte. Dazu müßte man den lieben Gott herbeibemühen.

Es war interessant zu beobachten, wie sich die Meinung über Singularitäten im Laufe der Zeit verändert hat. Als ich Student war, hat sie fast niemand ernst genommen. Infolge der Singularitätstheoreme glaubt nun fast jeder, das Universum habe mit

einer Singularität begonnen, an der die Gesetze der Physik ihre Gültigkeit verlieren. Dagegen bin ich heute der Meinung, es hat zwar eine Singularität gegeben – und dennoch bestimmen die physikalischen Gesetze, wie das Universum begonnen hat.

Die allgemeine Relativitätstheorie ist eine sogenannte klassische Theorie. Das heißt, sie berücksichtigt nicht, daß Teilchen keine genau definierten Örter und Geschwindigkeiten besitzen, sondern infolge des Unbestimmtheitsprinzips – der Unschärferelation – der Quantenmechanik über eine kleine Region «verschmiert» sind, wodurch es uns nicht möglich ist, den Ort und die Geschwindigkeit gleichzeitig zu messen. Das spielt in gewöhnlichen Situationen keine Rolle, weil der Radius der Raumzeitkrümmung im Verhältnis zur Unbestimmtheit in der Position eines Teilchens sehr groß ist. Doch die Singularitätstheoreme lassen darauf schließen, daß die Raumzeit am Anfang der Expansionsphase, die das Universum gegenwärtig durchläuft, einen sehr kleinen Krümmungsradius hatte. In dieser Situation ist das Unbestimmtheitsprinzip von großer Bedeutung. So beschwört die allgemeine Relativitätstheorie das eigene Scheitern herauf, indem sie Singularitäten vorhersagt. Um den Anfang des Universums untersuchen zu können, brauchen wir eine Theorie, die allgemeine Relativität und Quantenmechanik verbindet.

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