S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Stephen Hawking

31. März 1993

Kindheit *

Ich wurde am 5. Januar 1942 geboren, genau dreihundert Jahre nach Galileis Tod, Aber ich schätze, daß noch ungefähr zweihunderttausend andere Kinder an diesem Tag geboren worden sind. Ob sich eines von ihnen später für Astronomie interessierte, weiß ich nicht. Ich kam in Oxford zur Welt, obwohl meine Eltern in London wohnten. Der Grund: Oxford war während des Krieges ein guter Ort für eine Geburt. Die Deutschen hatten versprochen, Oxford und Cambridge mit ihren Bomben zu verschonen. Im Gegenzug hatten sich die Engländer bereit erklärt, Heidelberg und Göttingen nicht zu bombardieren.

Es ist sehr schade, daß man derart zivilisierte Vereinbarungen nicht für mehr Städte hat treffen können.

Mein Vater stammte aus Yorkshire. Sein Großvater, mein Urgroßvater, war ein wohlhabender Landwirt. Doch er hatte zu viele Höfe gekauft und verlor sein ganzes Vermögen in einer

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Dieser und der folgende Aufsatz beruhen auf einem Vortrag, den ich im September 1987 bei einer Tagung der Internationalen Gesellschaft für Motoneuronen-Erkrankungen in Zürich hielt; diese ursprüngliche Fassung wurde mit Texten kombiniert, die ich im August 1991 schrieb.

landwirtschaftlichen Depression zu Beginn unseres Jahrhunderts. So blieben die Eltern meines Vaters mittellos zurück.

Dennoch ermöglichten sie es ihm, in Oxford Medizin zu studieren. Er wandte sich der Tropenmedizin zu und ging 1935 nach Ostafrika. Bei Kriegsbeginn reiste er auf dem Landweg quer durch Afrika, gelangte per Schiff nach England und meldete sich freiwillig. Man teilte ihm jedoch mit, er werde dringender in der medizinischen Forschung gebraucht.

Meine Mutter stammte aus Glasgow und war das zweite von sieben Kindern eines praktischen Arztes. Als ich zwölf war, zog die Familie in das weiter südlich gelegene Devon. Wie die Familie meines Vaters war auch die meiner Mutter nicht sehr begü-

tert. Aber auch sie ließ meine Mutter in Oxford studieren. Nach dem Studium arbeitete sie in verschiedenen Berufen, unter anderem als Finanzinspektorin, was ihr nicht gefiel. Sie gab diese Stellung auf und wurde Sekretärin. In dieser Funktion lernte sie meinen Vater Anfang des Krieges kennen.

Wir lebten in Highgate, im Norden Londons. Achtzehn Monate nach mir wurde meine ältere Schwester Mary geboren. Es heißt, ich sei über diesen Zuwachs nicht sehr erfreut gewesen.

Unsere ganze Kindheit hindurch lag eine gewisse Spannung zwischen uns, die durch den geringen Altersunterschied genährt wurde. Später, als wir erwachsen wurden und verschiedene Wege gingen, hat sich unser Verhältnis gebessert. Sehr zur Freude meines Vaters wurde sie Ärztin. Meine Schwester Philippa wurde geboren, als ich fast fünf war und begreifen konnte, was vor sich ging. Ich weiß noch, daß ich mich auf ihre Geburt freute, wegen der Aussicht, zu dritt spielen zu können. Sie war ein sehr aufgewecktes Kind. Ich habe immer viel auf ihr Urteil und ihre Meinung gegeben. Wesentlich später kam mein Bruder Edward zur Welt. Ich war damals vierzehn, so daß er kaum noch eine Rolle in meiner Kindheit gespielt hat. Er entwickelte sich ganz anders als wir anderen drei: Seine Interessen waren nicht

im geringsten akademischer und intellektueller Natur. Wahrscheinlich war das gut für uns. Er war ein recht schwieriges Kind, aber man mußte ihn einfach gern haben.

In meiner frühesten Erinnerung stehe ich im Kindergarten Byron House in Highgate und schreie mir die Lunge aus dem Hals. Um mich herum spielten Kinder mit, wie mir schien, herr-lichem Spielzeug. Ich wollte mitspielen, aber ich war erst zwei-einhalb Jahre alt und zum erstenmal allein bei Menschen, die ich nicht kannte. Ich glaube, meine Eltern hat meine Reaktion ziemlich überrascht. Da ich ihr erstes Kind war, hatten sie gelehrte Bücher über frühkindliche Entwicklung gelesen, in denen stand, daß Kinder ihre ersten sozialen Kontakte mit zwei Jahren knüpfen. Dennoch nahmen sie mich nach jenem schrecklichen Morgen aus dem Tagesheim und schickten mich erst anderthalb Jahre später wieder hin.

Damals, während des Krieges und kurz danach, war Highgate ein Gebiet, in dem viele Wissenschaftler und Akademiker lebten. In einem anderen Land hätte man sie als Intellektuelle bezeichnet, aber die Engländer haben niemals zugegeben, daß es bei ihnen Intellektuelle gibt. Alle diese Eltern schickten ihre Kinder in die Byron House School, die für damalige Verhältnisse sehr fortschrittlich war. Ich weiß noch, daß ich mich bei meinen Eltern beklagte, man bringe mir dort nichts bei. Die Lehrer dieser Schule glaubten nicht an die damals üblichen Methoden, Kindern den Stoff einzutrichtern. Statt dessen sollten sie lesen lernen, ohne zu merken, daß es ihnen beigebracht wurde.

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