S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Diese Inflation war von großem Vorteil, denn sie brachte ein

– großräumig betrachtet – glattes und gleichförmiges Universum hervor, das zudem genau mit der Geschwindigkeit expan-dierte, die erforderlich war, um einen Rückfall in den Kollaps zu vermeiden. Von Vorteil war die Inflation ferner, weil sie alles, was das Universum enthält, buchstäblich aus dem Nichts er-schuf. Als das Universum ein einzelner Punkt wie der Nordpol war, enthielt es nichts. Doch jetzt gibt es mindestens 1080 Teilchen in dem Teil des Universums, den wir beobachten können.

Woher sind alle diese Teilchen gekommen? Die Antwort lautet, daß nach der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik Materie in Form von Teilchen-Antiteilchen-Paaren aus Energie erzeugt werden kann. Und woher kam die Energie, aus der die Materie entstanden ist? Die Antwort lautet, daß sie von der Gravitationsenergie des Universums geborgt wurde. Das Universum hat enorme Schulden in Form von negativer Gravitationsenergie, die exakt die positive Energie der Materie ausgleicht.

Während der Inflationsphase hat das Universum große Anleihen bei seiner Gravitationsenergie gemacht, um die Erzeugung weiterer Materie zu finanzieren. Das Ergebnis war ein Triumph des Keynesianismus: ein lebendiges, expandierendes Universum, angefüllt mit materiellen Objekten. Die Schulden in Form von Gravitationsenergie werden erst am Ende des Universums zu-rückgezahlt werden müssen.

Das frühe Universum kann nicht vollkommen homogen und gleichförmig gewesen sein, weil das ein Verstoß gegen das Unbestimmtheitsprinzip wäre. Es muß Abweichungen von einer gleichförmigen Dichte gegeben haben. Nach der Keine-Grenzen-Hypothese müßten diese Dichteschwankungen in ihrem Grund-zustand begonnen haben; das heißt, sie wären entsprechend dem

Unbestimmtheitsprinzip so klein wie möglich gewesen. Während der inflationären Expansion hätten sich die Schwankungen allerdings vergrößert. Nach dem Ende dieser Phase wäre die Expansion des Universums an manchen Orten rascher verlaufen als an anderen. In Regionen mit geringerer Expansion hätte die Massenanziehung die Expansion noch weiter abgebremst.

Schließlich wäre die Expansionsbewegung solcher Regionen völlig zum Stillstand gekommen, und sie hätten sich zu Galaxien und Sternen zusammengezogen. Die Keine-Grenzen-Hypothese kann also all die komplizierten Strukturen erklären, die wir um uns her erblicken. Allerdings macht sie nicht nur eine einzige Vorhersage für das Universum, sondern sagt eine ganze Familie möglicher Geschichten voraus, die alle ihre eigene Wahrscheinlichkeit besitzen. Es könnte eine mögliche Geschichte geben, in der die Labour Party die letzte Wahl in Groß-

britannien gewonnen hat, wenn auch ihre Wahrscheinlichkeit gering sein dürfte.

Die Keine-Grenzen-Hypothese hat weitreichende Folgen für die Rolle Gottes in den Geschicken des Universums. Heute ist allgemein anerkannt, daß sich das Weltall nach genau definierten Gesetzen entwickelt. Diese Gesetze mögen von Gott festgelegt worden sein, aber offenbar läßt er sie jetzt unangetastet und greift nicht in die Entwicklung des Universums ein. Bis vor kurzem glaubte man allerdings, am Anfang des Universums seien die Gesetze nicht gültig gewesen. Gott habe das Uhrwerk aufge-zogen und das Universum nach seinem Belieben in Gang gesetzt.

Der gegenwärtige Zustand des Universums resultiere also aus Gottes Wahl der Anfangsbedingungen.

Ganz anders wäre die Situation indessen, träfe eine Bedingung wie die Keine-Grenzen-Hypothese zu. In diesem Falle behielten die physikalischen Gesetze auch am Anfang des Universums ihre Gültigkeit, und Gott hätte noch nicht einmal die Freiheit, die Anfangsbedingungen zu wählen. Natürlich bliebe ihm immer

noch die Möglichkeit, die Gesetze festzulegen, denen das Universum gehorcht. Doch dabei sind die Wahlmöglichkeiten vielleicht gar nicht so vielfältig gewesen. Unter Umständen gibt es nur einige wenige Gesetze, die in sich schlüssig sind und zu so komplizierten Wesen wie uns führen, die nach dem Wesen Gottes fragen können.

Und selbst wenn es nur einen einzigen Kodex möglicher Gesetze gibt, so ist es doch nur ein Kodex von Gleichungen. Was haucht ihnen Leben ein und liefert ihnen ein Universum, dessen Abläufe sie bestimmen können? Ist die endgültige vereinheitlichte Theorie so zwingend, daß sie sich selbst in die Existenz ruft? Auch wenn die Wissenschaft möglicherweise das Problem zu lösen vermag, wie das Universum begonnen hat, nicht beantworten kann sie die Frage: Warum macht sich das Universum die Mühe zu existieren? Ich kenne die Antwort nicht.

Die Quantenmechanik

Schwarzer Löcher *

In den ersten drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts sind drei Theorien entstanden, die die Auffassung des Menschen von der Physik und der Wirklichkeit tief-greifend verändert haben. Die Physiker sind noch immer damit beschäftigt, ihre Bedeutung auszuloten und sie miteinander zu verbinden. Es handelt sich um die spezielle Relativitätstheorie (1905), die allgemeine Relativitätstheorie (1915) und die Theorie der Quantenmechanik (etwa 1926). Albert Einstein war weitgehend verantwortlich für die erste, der alleinige Urheber der zweiten, und er spielte eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der dritten. Trotzdem konnte er sich mit der Quantenmechanik nie anfreunden, da ihn das in ihr enthaltene Element des Zufalls und der Unbestimmtheit störte. Sein Unbehagen faßte er in einer häufig zitierten Äußerung zusammen: «Der liebe Gott würfelt nicht.» Die meisten Physiker waren jedoch rasch bereit, sowohl die spezielle Relativität als auch die Quantenmechanik zu akzeptieren, weil in beiden Effekte beschrieben wurden, die sich direkt beobachten ließen. Die allgemeine Relativitätstheorie da-

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