S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Dies alles bedeutet, daß der Sturz in ein Schwarzes Loch nicht zu einer verbreiteten und verläßlichen Form der Weltraumreise werden dürfte. Zunächst einmal müßten Sie in der imaginären Zeit zu einem solchen Loch gelangen und dürften sich nicht darum scheren, daß Ihre Geschichte in der realen Zeit ein garsti-ges Ende finden wird. Zweitens könnten Sie Ihren Bestimmungsort nicht richtig auswählen. Das wäre wie eine Reise mit einer jener Fluggesellschaften, deren Namen ich Ihnen ohne weiteres nennen könnte.

Obwohl also Baby-Universen ohne großen Nutzen für die Raumfahrt sein dürften, sind sie sehr bedeutsam für unseren Versuch, eine vollständige vereinheitlichte Theorie zu finden, die alles im Universum beschreiben kann. Unsere gegenwärtigen Theorien enthalten zahlreiche Größen wie etwa die elektrische Ladung eines Teilchens. Die Werte dieser Größen lassen sich nicht durch unsere Theorien vorhersagen. Sie müssen vielmehr in Übereinstimmung mit den Beobachtungsdaten gewählt werden. Doch die meisten Wissenschaftler sind der Auffassung, es müsse eine fundamentale vereinheitlichte Theorie geben, die die Werte aller dieser Größen vorhersagen kann.

Es ist durchaus denkbar, daß eine solche fundamentale Theorie existiert. Der zur Zeit aussichtsreichste Kandidat trägt den Namen heterotisches Superstring. Man stellt sich vor, daß die Raumzeit mit kleinen Schleifen, Fadenstückchen ähnlich, gefüllt ist. Was wir uns als Elementarteilchen denken, sind nach diesem Modell in Wirklichkeit kurze Schleifen, die auf verschiedene

Weisen vibrieren. Diese vereinheitlichte Theorie enthält keine Zahlen, deren Werte sich anpassen lassen. Deshalb ist von ihr zu erwarten, daß sie die Werte all der Größen vorherzusagen vermag, die von unseren gegenwärtigen Theorien nicht bestimmt werden – etwa die elektrische Ladung eines Teilchens. Obwohl wir bislang noch nicht in der Lage sind, eine dieser Größen aus der Superstring-Theorie zu bestimmen, glauben viele, daß es uns eines Tages möglich sein wird.

Doch wenn das Bild von den Baby-Universen zutrifft, wird unsere Fähigkeit, diese Größen vorherzusagen, beschränkt bleiben. Wir können nämlich nicht beobachten, wie viele Baby-Universen es im All gibt, die daraufwarten, sich mit unserer Region des Universums zu verbinden. Es könnte Baby-Universen geben, die nur einige wenige Teilchen enthalten. Man würde es gar nicht bemerken, wenn sie sich mit unserer Region verbänden oder von ihr abzweigten. Doch durch den Anschluß würden sie den scheinbaren Wert von Größen wie der elektrischen Ladung eines Teilchens verändern. Folglich könnten wir die scheinbaren Werte dieser Größen nicht vorhersagen, weil wir nicht wissen, wie viele Baby-Universen im All sind. Es könnte zu einer Bevöl-kerungsexplosion von Baby-Universen kommen. Doch anders als beim Menschen scheint es keine einschränkenden Faktoren wie Nahrungsversorgung oder Lebensraum zu geben. Baby-Universen existieren in ihrem eigenen Reich. Man fühlt sich ein bißchen an die Frage erinnert: Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen ?

Bei den meisten Größen scheinen Baby-Universen eine eindeutige, wenn auch ziemlich kleine Unsicherheit in die vorher-gesagten Werte einzuführen. Aber sie könnten eine Erklärung für den beobachteten Wert einer sehr wichtigen Größe liefern, der sogenannten kosmologischen Konstante. Das ist ein Term in den Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie, der das Universum mit einem inhärenten Bestreben zur Expansion oder

Kontraktion ausstattet. In der Hoffnung, ein Gegengewicht zu schaffen, das die Tendenz der Materie, das Weltall zur Kontraktion zu zwingen, ausgleicht, hatte Einstein ursprünglich einen sehr kleinen Wert für die kosmologische Konstante vorgeschlagen. Dieses Motiv entfiel, als man entdeckte, daß sich das Universum ausdehnt. Doch die kosmologische Konstante blieb ein schwer zu zähmender Faktor. Man könnte erwarten, daß die Fluktuationen, die sich aus den Gesetzen der Quantenmechanik ergeben, zu einer sehr großen kosmologischen Konstante führen. Doch wir können beobachten, daß sich die Expansion des Universums mit der Zeit verändert, was darauf schließen läßt, daß die kosmologische Konstante sehr klein ist, wenn auch bislang niemand befriedigend erklärt hat, warum der beobachtete Wert so niedrig ist. Doch die Abzweigungen und Anschlüsse von Baby-Universen müssen den scheinbaren Wert der kosmologischen Konstante beeinflussen. Da wir nicht wissen, wie viele Baby-Universen es gibt, sind auch verschiedene Werte für die kosmologische Konstante möglich. Immerhin wissen wir, daß ein Wert nahe Null am wahrscheinlichsten wäre. Das ist ein glücklicher Umstand, denn nur wenn der Wert der kosmologischen Konstante sehr klein ist, stellt das Universum für Wesen wie uns einen geeigneten Ort dar.

Fassen wir zusammen: Es scheint, daß Teilchen in Schwarze Löcher fallen können, die dann verdunsten und aus unserer Region des Universums verschwinden. Die Teilchen gelangen in Baby-Universen, die von unserem Universum abzweigen. Diese Baby-Universen können sich an einem anderen Ort wieder mit unserem Universum verbinden. Sie dürften sich für Raumfahrt-zwecke nicht eignen, aber ihr Vorkommen bedeutet, daß unsere Vorhersagefähigkeit eingeschränkter ist, als wir erwartet haben, selbst wenn wir eine vollständige vereinheitlichte Theorie finden. Auf der anderen Seite könnten wir jetzt in der Lage sein, die gemessenen Werte einiger Größen, wie der kosmologischen

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