S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Schließlich lernte ich doch lesen, aber erst, als ich bereits mein achtes Lebensjahr erreicht hatte. Meine Schwester Philippa lernte nach eher herkömmlichen Methoden lesen, mit dem Ergebnis, daß sie es mit vier Jahren konnte. Aber sie war damals sowieso eindeutig klüger als ich.

Wir wohnten in einem hohen, schmalen Haus aus Viktoriani-scher Zeit, das meine Eltern während des Krieges billig erworben

hatten, als alle Welt glaubte, London würde unter dem Bomben-hagel dem Erdboden gleichgemacht. Tatsächlich schlug nur wenige Häuser weiter eine V2-Rakete ein. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit meiner Mutter und meiner Schwester unterwegs, aber mein Vater war zu Hause. Glücklicherweise wurde er nicht verletzt und das Haus nicht sonderlich beschädigt. Jahrelang klaffte ein großes Ruinengrundstück in unserer Straße, auf dem ich mit meinem Freund Howard spielte, der drei Häuser weiter wohnte. Howard war für mich eine Offenbarung, weil seine Eltern keine Intellektuellen waren wie die Eltern aller anderen Kinder, die ich kannte. Er besuchte die staatliche Grundschule, nicht Byron House, und kannte sich in Fußball und Boxen aus, Sportarten, für die sich meine Eltern nicht im Traum interessiert hätten.

Ich erinnere mich auch noch, wie ich meine erste Spielzeug-eisenbahn bekam. Während des Krieges wurde kein Spielzeug hergestellt, zumindest nicht für den Binnenmarkt. Aber ich hatte eine Leidenschaft für Modelleisenbahnen entwickelt. Mein Vater versuchte, mir einen Holzzug zu basteln, aber damit war ich nicht zufrieden, denn ich wollte etwas, das sich in Bewegung setzte. Also kaufte mein Vater eine gebrauchte Eisenbahn zum Aufziehen, reparierte sie mit einem Lötkolben und schenkte sie mir zu Weihnachten, als ich fast drei war. Die Eisenbahn fuhr nicht besonders gut. Aber dann, unmittelbar nach dem Krieg, unternahm mein Vater eine Reise nach Amerika. Als er mit der

«Queen Mary» zurückkehrte, brachte er meiner Mutter Nylon-strümpfe mit, die damals in England nicht zu bekommen waren.

Für meine Schwester Mary hatte er eine Puppe, die die Augen schloß, wenn man sie hinlegte, und für mich einen amerikanischen Zug mit Cowcatcher und einem Gleis in Form einer Acht.

Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war, als ich die Schachtel öff-nete.

Mit einer Eisenbahn zum Aufziehen ließ sich schon etwas an-

fangen, aber was ich mir wirklich wünschte, war eine elektrische. Stundenlang betrachtete ich die Auslage eines Modell-eisenbahnklubs in Crouch End, in der Nähe von Highgate. Ich träumte von elektrischen Eisenbahnen. Eines Tages schließlich, als meine Eltern beide unterwegs waren, nutzte ich die Gelegenheit und hob von meinem Postbankkonto den bescheidenen Betrag ab, der sich dort – zusammengespart von Geldgeschenken zu besonderen Anlässen, etwa zur Taufe – angesammelt hatte.

Davon kaufte ich mir eine elektrische Eisenbahn, die aber zu meiner großen Enttäuschung ständig stehenblieb. Heute wissen wir besser über unsere Rechte als Verbraucher Bescheid. Ich hätte die Eisenbahn zurückbringen und vom Geschäft oder vom Hersteller Ersatz verlangen müssen. Doch damals hielt man es für ein Privileg, etwas kaufen zu dürfen, und es war eben Schicksal, wenn es sich als mangelhaft erwies. Also ließ ich den Elek-tromotor der Lokomotive für teures Geld reparieren, und trotzdem hat er nie richtig funktioniert.

Als Jugendlicher baute ich dann Modellflugzeuge und

-schiffe. Mit den Händen war ich nie sehr geschickt, aber ich tat mich mit meinem Schulkameraden John McClenahan zusammen, der ein guter Bastler war und dessen Vater sich im Haus eine Werkstatt eingerichtet hatte. Mein Ziel war es immer, Modelle zu bauen, die ich steuern konnte. Mir war es egal, wie sie aussahen. Ich glaube, der gleiche Wunsch trieb mich, eine Reihe sehr komplizierter Spiele mit einem anderen Schulkameraden, Roger Ferneyhough, zu erfinden. Da gab es ein Produktionsspiel mit Fabriken, die verschiedenfarbige Produkte herstellten, Stra-

ßen und Schienenstränge, auf denen sie befördert wurden, und einen Aktienmarkt. Es gab ein Kriegsspiel, das auf einem Brett mit viertausend Quadraten gespielt wurde, und sogar ein Ritter-spiel, bei dem jeder Spieler eine ganze Dynastie mit eigenem Stammbaum repräsentierte. Ich glaube, diese Spiele entspran-gen, genau wie die Eisenbahnen, Schiffe und Flugzeuge, meinem

Drang herauszufinden, wie die Dinge funktionieren, und sie zu beherrschen. Seit ich mit meiner Promotion begann, konnte ich dieses Bedürfnis in der kosmologischen Forschung stillen. Wenn man weiß, wie das Universum funktioniert, beherrscht man es in gewisser Weise.

1950 wurde der Arbeitsplatz meines Vaters von Hampstead in der Nähe von Highgate in das neuerbaute National Institute for Medical Research in Mill Hill am Nordrand Londons verlegt.

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