S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Konstante, zu erklären. In den letzten Jahren haben viele Forscher begonnen, über Baby-Universen zu arbeiten. Ich glaube nicht, daß einer von ihnen reich werden kann, indem er sie sich als Ziel für Weltraumreisen reservieren läßt, aber sie haben sich zu einem Forschungsgegenstand von hohem Reiz entwickelt.

Ist alles

vorherbestimmt? *

In dem Schauspiel sagt Cassius zu Brutus: «Der Mensch ist manchmal seines Schicksals Meister.» Doch sind wir das wirklich ? Oder ist alles, was wir tun, festgelegt und vorherbestimmt? Die Prädestination, die Vorherbestimmtheit, wurde früher damit erklärt, daß Gott allmächtig und außerhalb der Zeit sei, so daß er wisse, was geschehen werde. Wie kann es dann einen freien Willen geben? Und wenn wir keinen freien Willen haben, wie können wir dann für unsere Handlungen verantwortlich sein? Ist es einem Menschen vorherbestimmt, eine Bank auszurauben, so kann es doch kaum seine Schuld sein. Warum also sollte man ihn dafür bestrafen?

In jüngerer Zeit ist der Determinismus auf wissenschaftliche Argumente gegründet worden. Offenbar gibt es eindeutige Gesetze, die festlegen, wie sich das Universum und alles, was es enthält, mit der Zeit entwickeln. Obwohl wir noch nicht die exakte Form für alle diese Gesetze gefunden haben, wissen wir doch schon genug, um, von einigen Extremsituationen abgese-

*

Vortrag im Rahmen eines Seminars des Sigma Club an der Universität Cambridge, April 1990.

hen, bestimmen zu können, was geschieht. Ob wir die verbleibenden Gesetze in naher Zukunft entdecken können, ist Auffas-sungssache. Ich bin Optimist: Ich glaube, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, daß wir sie in den nächsten zwanzig Jahren finden. Doch selbst wenn uns das nicht gelingt, würde es an dem Argument nichts Wesentliches ändern. Entscheidend ist die Annahme, daß es ein System von Gesetzen gibt, die die Evolution des Universums von Anfang an vollständig bestimmen. Diese Gesetze mögen von Gott vorgegeben sein, aber offenbar läßt er (oder sie) ihnen jetzt freien Lauf und mischt sich nicht in die Geschicke des Universums ein.

Die Anfangskonfiguration des Universums könnte von Gott gewählt worden sein oder sich selbst aus den Naturgesetzen herleiten. In beiden Fällen war dann offenbar alles im Universum durch die Evolution gemäß den Naturgesetzen bestimmt, so daß schwer einzusehen ist, wie wir unseres Schicksals Meister sein können.

Die Vorstellung, daß es eine große vereinheitlichte Theorie gibt, deren Gesetze allem Geschehen im Weltall zugrunde liegen, wirft viele Schwierigkeiten auf. Zunächst einmal ist die große vereinheitlichte Theorie wahrscheinlich, mathematisch gesehen, kompakt und elegant. Die «Theorie für Alles» müßte schon einen besonderen und einfachen Charakter haben. Doch wie kann eine bestimmte Anzahl von Gleichungen die vielfältigen und trivialen Details erklären, die wir um uns her erblicken?

Ist es wirklich vorstellbar, daß die große vereinheitlichte Theorie vorherbestimmt hat, daß Sinead O’Connor in dieser Woche auf Platz eins der Hitparade ist oder daß Madonna auf der nächsten Titelseite des Cosmopolitan erscheinen wird?

Bei der Vorstellung, alles sei von einer großen vereinheitlichten Theorie vorherbestimmt, stellt sich ein zweites Problem: Dann wäre nämlich auch alles, was wir sagen, durch die Theorie festgelegt. Und warum sollte vorherbestimmt sein, daß unsere

Äußerungen stimmen? Wäre die Wahrscheinlichkeit nicht viel größer, daß sie falsch sind, da es zu jeder einzelnen wahren Aussage viele mögliche falsche gibt? Jede Woche finde ich in meiner Post zahlreiche Theorien, die die Leute mir zuschicken. Sie sind alle verschieden, und die meisten widersprechen sich. Und doch soll die große vereinheitlichte Theorie bestimmt haben, daß ihre Autoren sie für richtig halten. Warum sollte also irgend etwas, was ich sage, gültiger sein? Bin ich nicht der Bestimmung durch die große vereinheitlichte Theorie ebenso unterworfen?

Schließlich wirft der Prädestinationsgedanke noch ein drittes Problem auf: Wir haben das Gefühl, daß wir einen freien Willen besitzen – daß wir nach Belieben entscheiden können, ob wir etwas tun oder nicht. Doch wenn alles von den Naturgesetzen bestimmt ist, dann muß der freie Wille eine Illusion sein. Und wenn wir keinen freien Willen haben, wie können wir dann für unsere Handlungen verantwortlich sein? Psychisch kranke Täter bestrafen wir nicht für ihre Verbrechen, weil wir meinen, daß sie nicht anders handeln konnten. Doch wenn wir alle von einer großen vereinheitlichten Theorie bestimmt sind, kann niemand anders handeln, als er es tut. Wie kann dann irgend jemand für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden?

Diese Probleme des Determinismus werden seit Jahrhunderten diskutiert. Doch blieb die Diskussion immer etwas akademisch, weil wir weit davon entfernt waren, die Naturgesetze vollständig zu verstehen. Überdies wußten wir nicht, wie der Anfangszustand des Universums bestimmt war. Heute sind diese Probleme aktueller denn je, weil die Möglichkeit besteht, daß wir in den nächsten zwanzig Jahren eine vollständige vereinheitlichte Theorie entdecken. Außerdem hat sich herausgestellt, daß möglicherweise auch der Anfangszustand des Universums durch die Naturgesetze bestimmt worden ist. Die folgenden Ausführungen sind mein persönlicher Versuch, über diese Probleme Klarheit zu gewinnen. Ich behaupte nicht, daß sie beson-

Pages: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Leave a Reply 0

Your email address will not be published. Required fields are marked *