S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

herzusagen. Wäre es anders, könnten Physiker in Casinos Geld scheffeln.

Bei instabilen und chaotischen Systemen gibt es im allgemeinen jeweils eine bestimmte Zeitskala, in der eine kleine Veränderung des Anfangszustandes zu doppelten Ausmaßen anwächst.

Im Falle der Erdatmosphäre beträgt diese Zeitskala ungefähr fünf Tage, etwa die Zeit, die die Luft braucht, um die Erde zu umrunden. Für Zeiträume bis zu fünf Tagen läßt sich das Wetter einigermaßen genau vorhersagen. Doch wollte man weiterrei-chende Wetterprognosen erstellen, müßte man den gegenwärtigen Zustand der Atmosphäre außerordentlich genau kennen und unvorstellbar komplizierte Berechnungen vornehmen. Über die jahreszeitlichen Durchschnittswerte hinaus haben wir keine Möglichkeit, das Wetter auf sechs Monate vorauszusagen.

Wir kennen auch die Gesetze, nach denen chemische und biologische Prozesse ablaufen. Im Prinzip müßten wir also bestimmen können, wie das Gehirn funktioniert, aber die Gleichungen, die für das Gehirn maßgebend sind, zeigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit chaotisches Verhalten, das heißt, winzig kleine Veränderungen des Anfangszustandes können zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen. In der Praxis können wir also menschliches Verhalten nicht vorhersagen, obwohl wir die Gleichungen kennen, die unser Handeln bestimmen. Die Wissenschaft kann nicht vorhersagen, wie sich die menschliche Gesellschaft zukünftig entwickeln wird oder ob sie überhaupt eine Zukunft hat. Die Gefahr liegt darin, daß unsere Fähigkeit, die Umwelt zu zerstören oder uns gegenseitig zu vernichten, sehr viel rascher wächst als unsere Vernunft im Umgang mit dieser Fähigkeit.

Ganz gleich, was mit der Erde geschieht, die Geschicke des Universums wird es nicht berühren. Offenbar sind auch die Bewegungen der Planeten um die Sonne letztlich chaotisch, wenn auch auf einer sehr großen Zeitskala. Das heißt, die Fehler jeder

Vorhersage über die Entwicklung unseres Sonnensystems werden im Laufe der Zeit immer größer. Nach einer gewissen Periode wird es unmöglich, die Bewegungen detailliert vorherzusagen. Wir können ziemlich sicher sein, daß die Erde in absehbarer Zukunft nicht mit der Venus zusammenstoßen wird, aber wir können nicht ausschließen, daß kleine Störungen in den Umlaufbahnen sich addieren und in einer Milliarde Jahren zu einer solchen Kollision führen. Die Bewegung der Sonne und anderer Sterne um die Milchstraße und die Bewegung der Milchstraße innerhalb der lokalen Gruppe, des Galaxienhaufens, dem sie angehört, sind gleichfalls chaotisch. Wir beobachten, daß andere Galaxien sich von uns fortbewegen und daß sie, je weiter entfernt sie sind, um so rascher davonstreben. Mit anderen Worten, das Universum expandiert in unserer Nachbarschaft. Die Entfernungen zwischen Galaxien nehmen mit der Zeit zu.

Anhaltspunkte dafür, daß diese Expansion gleichförmig und nicht chaotisch verläuft, liefert uns ein Hintergrund von Mikro-wellenstrahlen, die uns aus dem All erreichen. Sie können selbst diese Strahlung beobachten, indem Sie Ihr Fernsehgerät auf einen leeren Kanal einstellen. Ein paar Prozent der Punkte, die Sie auf dem Bildschirm sehen, stammen von Mikrowellen, deren Ursprung jenseits des Sonnensystems liegt. Es ist die gleiche Art Strahlung, die Sie in einem Mikrowellenherd nutzen, nur sehr viel schwächer. Sie würde Ihre Lebensmittel nur auf 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt erwärmen – also nicht genug, um Ihre Tiefkühlpizza kroß zu backen. Man nimmt an, diese Strahlung sei ein Relikt aus einem sehr heißen Frühstadium des Universums. Doch vor allem ist bemerkenswert, daß die Energie der Strahlung aus jeder Richtung fast gleich zu sein scheint. Sie ist sehr genau von dem Satelliten «Cosmic Background Explorer»

(COBE) gemessen worden. Eine Himmelskarte, nach diesen Beobachtungen angefertigt, zeigt verschiedene Strahlungstempe-raturen in verschiedenen Richtungen, aber diese Schwankungen

sind sehr klein, ein Teil pro hunderttausend. Der Mikrowellenhintergrund muß in verschiedenen Richtungen unterschiedlich sein, weil das Universum nicht vollkommen gleichförmig ist; es gibt lokale Unregelmäßigkeiten wie Sterne, Galaxien und Galaxienhaufen. Aber die Schwankungen im Mikrowellenhintergrund sind, in Übereinstimmung mit den lokalen Unregelmä-

ßigkeiten, die wir beobachten, extrem gering. Zu 99999 Teilen pro 100000 ist der Mikrowellenhintergrund in allen Richtungen gleichförmig.

In alten Zeiten glaubten die Menschen, die Erde sei der Mittelpunkt des Universums. Deshalb hätte sie die Erkenntnis, daß der Hintergrund in allen Richtungen gleich ist, nicht überrascht.

Doch seit den Tagen des Kopernikus ist uns nach und nach klar-geworden, daß wir auf einem kleinen Planeten leben, der einen sehr durchschnittlichen Stern in den Außenbezirken einer ge-wöhnlichen Galaxie umkreist, die nur eine unter den hundert Milliarden anderen ist, die wir beobachten können. Mittler-weile sind wir so bescheiden, daß wir keine Sonderstellung mehr im Universum beanspruchen können. Deshalb müssen wir annehmen, daß der Hintergrund in allen Richtungen und in jeder anderen Galaxie gleich ist. Das ist nur möglich, wenn die durchschnittliche Dichte und die Expansionsrate des Universums überall identisch sind. Jede Abweichung von der durchschnittlichen Dichte oder der Expansionsrate über eine größere Region würde sich im Mikrowellenhintergrund als Schwankungen in verschiedenen Richtungen abzeichnen. Das heißt, in sehr gro-

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