S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Statt von Highgate dorthin zu fahren, erschien es vernünftiger, aus London hinauszuziehen. Deshalb kauften meine Eltern ein Haus in St. Albans, einem Bischofssitz mit alter Kathedrale, ungefähr fünfzehn Kilometer nördlich von Mill Hill und dreißig Kilometer von London entfernt. Es war ein großes viktoriani-sches Haus mit einer gewissen Eleganz und ganz eigenem Charakter. Meine Eltern waren nicht sehr wohlhabend, als sie es kauften, und es mußte viel renoviert werden, bevor wir einzie-hen konnten. Danach weigerte sich mein Vater, ein sparsamer Yorkshireman, Geld für weitere Reparaturarbeiten am Haus auszugeben. Er tat sein Bestes, um es instand zu halten und zu streichen, aber es war groß und er nicht sehr geschickt in solchen Dingen. Doch das Haus war so solide gebaut, daß ihm die Vernachlässigung kaum schadete. 1985, als mein Vater schwer er-krankte (er starb 1986), verkauften es meine Eltern. Vor kurzem habe ich es wiedergesehen. Es sah nicht so aus, als seien in der Zwischenzeit viele Renovierungsarbeiten vorgenommen worden, aber es hatte sich kaum verändert.

Das Gebäude war ursprünglich für einen Haushalt mit Dienstboten bestimmt; deshalb gab es in der Anrichte eine Tafel, die anzeigte, in welchem Zimmer geläutet worden war. Natürlich hatten wir keine Dienstboten, aber mein erstes Zimmer war ein kleiner L-förmiger Raum, der einmal ein Mädchenzimmer gewesen sein muß. Ich hatte ihn mir auf Vorschlag meiner Cousine Sarah reserviert, die etwas älter war als ich und die ich sehr be-

wunderte. Sie meinte, dort könnten wir viel Spaß haben. Ein besonderer Vorzug des Zimmers war, daß man aus dem Fenster aufs Dach des Fahrradschuppens und von dort auf den Boden klettern konnte.

Sarah war die Tochter von Janet, der älteren Schwester meiner Mutter, einer Ärztin, die einen Psychoanalytiker geheiratet hatte. Sie lebten in einem ziemlich ähnlichen Haus in Harpenden, einem acht Kilometer nördlich von St. Albans gelegenen Dorf. Daß sie dort wohnten, war einer der Gründe, die uns be-wogen hatten, nach St. Albans zu ziehen. Ich freute mich sehr, nun in der Nähe von Sarah zu sein, und bin häufig mit dem Bus nach Harpenden gefahren. In der Nähe von St. Albans befinden sich die Überreste der altrömischen Stadt Verulamium, der nach London wichtigsten römischen Siedlung in England. Im Mittel-alter hatte St. Albans das reichste Kloster Englands. Es wurde um den Schrein des heiligen Alban erbaut, eines römischen Zen-turios, der als erster Mensch in England wegen seines christ-lichen Glaubens hingerichtet worden war. Von dem Kloster sind nur die große, ziemlich häßliche Klosterkirche und das alte Klostertorgebäude erhalten. Dieses gehört heute zur St. Albans School, die ich später besuchte.

Im Vergleich zu Highgate oder Harpenden war St. Albans ein langweiliger, konservativer Ort. Freunde fanden meine Eltern dort kaum. Zum Teil war das ihre eigene Schuld, denn sie waren von Natur aus Eigenbrötler, vor allem mein Vater, aber es lag auch daran, daß wir von einer anderen Art Leuten umgeben waren. Von den Eltern meiner Schulkameraden in St. Albans war wohl schwerlich jemand als Intellektueller zu bezeichnen.

Während unsere Familie in Highgate als recht gewöhnlich angesehen worden war, galten wir in St. Albans als exzentrisch.

Verstärkt wurde dieser Eindruck durch meinen Vater, dem es vollkommen gleichgültig war, wie sein Verhalten auf andere wirkte, solange es ihm nur half, Geld zu sparen. Seine Familie

war in seiner Jugend sehr arm gewesen, und das hatte ihn geprägt.

Er konnte sich nicht dazu durchringen, Geld für die eigene Be-quemlichkeit auszugeben, selbst als er es sich später hätte leisten können. Obwohl er schrecklich fror, weigerte er sich, eine Zen-tralheizung einbauen zu lassen. Statt dessen zog er sich mehrere Pullover und einen Morgenrock über seine normale Kleidung.

Anderen Menschen gegenüber war er jedoch sehr großzügig.

In den fünfziger Jahren glaubte er, wir könnten uns kein neues Auto leisten; deshalb kaufte er sich ein Londoner Vorkriegstaxi und baute mit meiner Hilfe eine Wellblechbaracke, die er als Garage benutzte. Die Nachbarn waren schockiert, konnten aber nichts dagegen tun. Wie die meisten Jugendlichen hatte ich ein großes Konformitätsbedürfnis und fand das Verhalten meiner Eltern peinlich. Das hat sie aber nie gestört.

Als wir nach St. Albans zogen, wurde ich zunächst auf die High School for Girls geschickt, die ungeachtet ihres Namens Jungen im Alter bis zu zehn Jahren aufnahm. Doch nach einem halben Jahr begab sich mein Vater auf eine seiner fast jährlichen Afrikareisen, diesmal für einen längeren Zeitraum von vier Monaten. Um der Einsamkeit zu entgehen, nahm meine Mutter meine beiden Schwestern und mich und besuchte ihre Schul-freundin Beryl, die mit dem Dichter Robert Graves verheiratet war. Sie lebten in dem Dorf Deya auf der spanischen Insel Mallorca. Das war 1950, und der spanische Diktator Francisco Franco, im Krieg Verbündeter von Hitler und Mussolini, war noch immer an der Macht. (Das blieb er auch noch weitere zwanzig Jahre.) Trotzdem reiste meine Mutter, die vor dem Krieg der Young Communist League angehört hatte, mit ihren drei Kindern per Schiff und Bahn nach Mallorca. Wir mieteten uns ein Haus in Deya und verlebten eine wunderbare Zeit. Ich wurde zusammen mit Graves’ Sohn William von dessen Hauslehrer unterrichtet. Dieser war ein Schützling des Schriftstellers und mehr daran interessiert, ein Stück für die Edinburgh-Festspiele

Pages: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Leave a Reply 0

Your email address will not be published. Required fields are marked *