S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Desert Island Discs

Ein Interview

Die BBC-Sendung «Desert Island Discs»

gibt es seit 1942; sie ist damit die älteste aller Sendereihen des britischen Rundfunks. In England ist sie zu einer nationalen Institution geworden. Im Laufe der Jahre ist die Liste der Gäste zu beeindruckender Länge angewachsen. Auf ihr finden sich Schriftsteller, Schauspieler, Musiker, Filmschauspieler und

-regisseure, Sportler, Komiker, Köche, Gärtner, Lehrer, Tänzer, Politiker, gekrönte Häupter, Karikaturisten – und Wissenschaftler. Die Gäste, immer in der Rolle von Schiffbrüchigen, werden aufgefordert, acht Schallplatten auszuwählen, die sie mit sich nehmen würden, wenn es sie allein auf eine einsame Insel verschlüge. Außerdem sollen sie einen Luxusartikel (kein Lebewesen) und ein Buch nennen, die sie in den Koffer packen würden (wobei vorausgesetzt wird, daß der zur Religion des Gastes gehörende Text – die Bibel, der Koran oder Entsprechendes – zusammen mit Shakespeares Werken auf der Insel bereit-läge). Natürlich gibt es auch eine Möglichkeit zum Abspielen der Platten, früher hieß es im Vorspann zur Sendung: «… angenommen, es gibt ein Grammophon und einen unerschöpflichen Vorrat an Nadeln, um sie zu spielen…» Heute wird ein CD-

Player mit Solarzellen als zeitgemäßes Wiedergabegerät vorausgesetzt.

Die Sendung wird wöchentlich ausgestrahlt, und während des Interviews, das normalerweise vierzig Minuten dauert, werden die von den Gästen genannten Platten gespielt. Doch dieses Gespräch mit Stephen Hawking, das am Weihnachtstag des Jahres 1992 gesendet wurde, war eine Ausnahme und dauerte länger.

Die Interviewerin ist Sue Lawley.

LAWLEY: In mancher Hinsicht sind Sie, Stephen, natürlich schon vertraut mit der isolierten Situation auf einer verlassenen Insel, abgeschnitten vom normalen physischen Leben und allen natürlichen Verständigungsmöglichkeiten. Wie einsam ist das für Sie?

HAWKING: Ich finde nicht, daß ich vom normalen Leben abgeschnitten bin, und ich glaube auch nicht, daß die Menschen in meiner Umgebung das sagen würden. Im übrigen fühle ich mich nicht als Behinderter, nur als jemand, der unter einer bestimmten Funktionsstörung seiner Motoneuronen leidet, so als wäre ich farbenblind. Wahrscheinlich kann man mein Leben kaum als gewöhnlich bezeichnen, aber subjektiv empfinde ich es als normal.

LAWLEY: jedenfalls haben Sie sich selbst im Gegensatz zu den meisten Schiffbrüchigen in der Sendung Desert Island Discs bewiesen, daß Sie seelisch und geistig autark sind, daß Sie genü-

gend Theorien und Eingebungen haben, um sich allein zu beschäftigen.

HAWKING: Ich glaube, ich bin von Natur aus ein bißchen intro-vertiert, und meine Verständigungsschwierigkeiten haben mich gezwungen, mich auf mich selbst zu beziehen. Aber als Kind war

ich äußerst redselig. Ich brauche das Gespräch mit anderen Menschen als Anregung. Für meine Arbeit ist es eine große Hilfe, wenn ich anderen meine Ideen erläutere. Selbst wenn sie keine Vorschläge machen, ergibt sich aus der Notwendigkeit, meine Gedanken so zu ordnen, daß ich sie anderen erklären kann, häufig ein neuer Ansatzpunkt.

LAWLEY: Aber was ist mit Ihren emotionalen Bedürfnissen, Stephen? Auch ein hervorragender Physiker braucht doch sicher andere Menschen.

HAWKING: Die Physik ist wunderbar, aber völlig kalt. Ich käme mit meinem Leben nicht zurecht, wenn ich nur die Physik hätte.

Wie jeder andere Mensch brauche ich Wärme, Liebe und Zuneigung. Und auch hier habe ich großes Glück, weit mehr Glück als andere Menschen mit meiner Behinderung, weil mir viel Liebe und Zuneigung zuteil werden. Auch die Musik ist sehr wichtig für mich.

LAWLEY: Erzählen Sie, was macht Ihnen größere Freude, die Physik oder die Musik?

HAWKING: Ich muß sagen, daß die Freude, die ich empfinde, wenn in der Physik plötzlich alles stimmt, alles am richtigen Platz ist, intensiver ist, als ich es jemals in der Musik erlebt habe. Aber so etwas passiert nur ein paarmal im Leben eines Physikers, während man eine Platte auflegen kann, sooft man möchte.

LAWLEY: Und welche Platte würden Sie auf Ihrer verlassenen Insel zuerst spielen?

HAWKING: von Poulenc. Im letzten Sommer habe ich das Stück zum erstenmal in Aspen, Colorado, gehört. Aspen ist eigentlich ein Wintersportort, aber im Sommer gibt es dort Phy-siktagungen. Neben dem physikalischen Kongreßzentrum be-

findet sich ein riesiges Zelt, in dem ein Musikfestival stattfindet.

Während man sitzt und überlegt, was geschieht, wenn Schwarze Löcher verdunsten, kann man die Proben hören. Das ist wunderbar. Es verbindet meine beiden größten Leidenschaften, die Physik und die Musik. Wenn ich beide auf meiner einsamen Insel haben kann, möchte ich nicht gerettet werden. Das heißt, so lange nicht, bis ich eine Entdeckung in der theoretischen Physik gemacht habe, die ich aller Welt verkünden möchte. Ich nehme an, eine Satellitenschüssel, mit der ich physikalische Artikel empfangen könnte, würde gegen die Regeln verstoßen. (MUSIK.)

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