S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

LAWLEY: Trotzdem gelang es Ihnen, in wenigen Stunden Aufgaben zu lösen, die Ihre Kommilitonen in ebenso vielen Wochen nicht schafften. Nach dem, was diese Freunde erzählen, waren sie sich offenbar darüber klar, daß Sie außergewöhnlich begabt waren. Haben Sie es auch gemerkt?

HAWKING: Damals war das Physikstudium in Oxford lächerlich einfach. Man konnte sich ohne Vorlesung durchschum-meln, wenn man nur ein- oder zweimal pro Woche zu den Tuto-rensitzungen ging. Viele Fakten brauchte man sich nicht zu merken, nur ein paar Gleichungen.

LAWLEY: Aber in Oxford haben Sie auch zum erstenmal festgestellt, daß Ihre Hände und Füße nicht mehr ganz so wollten wie Sie. Wie haben Sie sich das damals erklärt?

HAWKING: Tatsächlich habe ich zuerst gemerkt, daß ich einen Einer nicht mehr richtig rudern konnte. Dann stürzte ich ziemlich schlimm auf der Treppe des Gemeinschaftsraums für Studenten. Daraufhin bin ich zum Collegearzt gegangen, weil ich Angst hatte, mein Gehirn könnte Schaden genommen haben, aber er fand nichts Beunruhigendes und riet mir, weniger Bier zu trinken. Nach meinem Abschlußexamen in Oxford unternahm ich den Sommer über eine Reise nach Persien. Ich war eindeutig schwächer, als ich zurückkam, führte das aber auf eine schlimme Magenverstimmung zurück, unter der ich dort gelitten hatte.

LAWLEY: Wann haben Sie sich zu der Erkenntnis durchgerun-gen, daß Ihnen wirklich etwas fehlte, und einen Arzt aufgesucht ?

HAWKING: Ich war damals in Cambridge und fuhr über Weihnachten nach Hause. Das war in dem sehr kalten Winter 62/63.

Ich ließ mich von meiner Mutter zum Schlittschuhlaufen auf

dem See in St. Albans überreden, obwohl ich wußte, daß ich dazu nicht mehr in der Lage war. Ich fiel hin und hatte große Schwierigkeiten aufzustehen. Meine Mutter bemerkte, daß etwas nicht stimmte, und brachte mich zu unserem Hausarzt.

LAWLEY: Und dann folgten drei Wochen Krankenhaus und zum Schluß die schreckliche Eröffnung?

HAWKING: Ja, es war das Barts Hospital in London, weil mein Vater dort ausgebildet worden war. Zwei Wochen wurde ich untersucht, aber erfuhr nichts Genaues, nur daß es nicht multiple Sklerose und daß ich ein atypischer Fall war. Niemand sagte mir, wie meine Chancen standen, aber ich ahnte, daß die Lage ziemlich aussichtslos war, und verspürte deshalb keine Lust nachzu-fragen.

LAWLEY: Schließlich hat man Ihnen dann doch mitgeteilt, daß Sie nur noch etwa zwei Jahre zu leben hätten. Unterbrechen wir hier Ihre Geschichte, und hören wir die nächste Platte.

HAWKING: , erster Akt. Dies ist eine weitere frühe Aufnahme, mit Melchior und Lehmann. Ursprünglich wurde sie vor dem Krieg auf achtundsiebziger Platten aufgenommen. Anfang der sechziger Jahre hat man sie auf eine LP

überspielt. Als 1963 ALS bei mir festgestellt wurde, habe ich viel Wagner gehört, da er gut zu meiner düsteren und apokalypti-schen Stimmung paßte. Leider ist mein Sprachsynthesizer ziemlich ungebildet und spricht den Namen englisch aus. Deshalb muß ich ihm V-A-R-G-N-E-R eingeben, um die richtige Aussprache zu erhalten.

Die vier Opern des -Zyklus sind Wagners größtes Werk.

1964 habe ich sie mit meiner Schwester Philippa in Bayreuth gesehen. Damals kannte ich den nicht sehr gut, und die

, die zweite Oper des Zyklus, machte einen enormen Eindruck auf mich. In der Inszenierung von Wolfgang Wagner

war die Bühne fast völlig dunkel. Es geht um die Liebesge-schichte der Zwillinge Siegmund und Sieglinde, die in ihrer Kindheit getrennt wurden. Als Siegmund im Haus von Hunding, Sieglindes Ehemann und Siegmunds Feind, Zuflucht sucht, begegnen sie sich wieder. Der Ausschnitt, den ich vorspie-len möchte, ist Sieglindes Klage über die erzwungene Heirat mit Hunding. Während der Feierlichkeiten betritt ein alter Mann die Halle. Das Orchester spielt das Walhalla-Motiv, eines der prächtigsten Themen des , denn es ist Wotan, der Götterherr-scher und Vater von Siegmund und Sieglinde. Er rammt ein Schwert in einen Baumstamm. Das Schwert ist für Siegmund bestimmt. Am Ende des Aktes zieht Siegmund es heraus und flieht mit seiner Schwester in den Wald. (MUSIK.) LAWLEY: Wenn man über Sie liest, Stephen, hat man fast den Eindruck, als hätte Sie das Todesurteil – die Mitteilung, daß Sie nur noch zwei Jahre zu leben hätten – gewissermaßen aufgeweckt, Sie dazu gebracht, sich dem Leben zuzuwenden.

HAWKING: Zunächst hat es mich deprimiert. Mein Zustand schien sich ziemlich schnell zu verschlechtern. Ich sah keinen Sinn darin, irgend etwas zu tun oder an meiner Promotion zu arbeiten, weil ich nicht wußte, ob ich lange genug leben würde, um sie zu beenden. Doch dann verbesserte sich die Situation.

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