S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Damals war ich siebzehn, und die meisten Studenten in meinem Jahrgang hatten ihren Militärdienst absolviert und waren viel älter. Während des ersten und eines Teils des zweiten Jahres war ich ziemlich einsam. Erst im dritten Jahr habe ich mich dort richtig wohl gefühlt. Damals gehörte es in Oxford nicht zum guten Ton, fleißig zu sein. Entweder war man ohne irgendwel-che Mühe brillant, oder man fand sich mit seinen Grenzen ab und nahm einen drittklassigen Abschluß in Kauf. Wer fleißig arbeitete, um ein besseres Examen zu machen, galt als «gray man», die schlimmste Bezeichnung, die es damals im Oxforder Wortschatz gab.

Zu jener Zeit war das Physikstudium in Oxford so organisiert, daß man der Arbeit sehr leicht aus dem Weg gehen konnte. Ich machte ein Examen, bevor ich aufgenommen wurde, und hatte dann drei Jahre Zeit, bevor ich mich dem Abschlußexamen stellen mußte. Ich habe einmal ausgerechnet, daß ich in den drei Jahren in Oxford ungefähr tausend Stunden gearbeitet habe, was einem Durchschnitt von einer Stunde pro Tag entspricht. Ich bin nicht stolz darauf, ich versuche nur zu beschreiben, wie ich die Sache damals sah, eine Einstellung, die ich mit den meisten Studenten teilte: Wir langweilten uns zu Tode und hatten das Ge-fühl, nichts sei einer Anstrengung wert. Ein Ergebnis meiner Krankheit war, daß sich all das änderte: Wenn einem ein früher Tod droht, begreift man, welchen Wert das Leben hat und daß es noch viele Dinge gibt, die man tun möchte.

Da ich nicht sehr fleißig gewesen war, wollte ich mich im Abschlußexamen an die Aufgaben in theoretischer Physik halten und alle Fragen vermeiden, die Faktenwissen voraussetzten. Ich schnitt nicht besonders gut ab – zwischen Eins und Zwei. Also wurde ich noch einmal zu einem Gespräch gebeten, in dem endgültig über die Examensnote entschieden werden sollte. Sie fragten mich nach meinen Zukunftsplänen. Ich sagte, ich wolle in die Forschung gehen. Wenn sie mir eine Eins gäben, würde ich nach

Cambridge gehen, wenn ich eine Zwei erhielte, würde ich in Oxford bleiben. Sie gaben mir eine Eins.

Nach meiner Ansicht kamen für meine Promotion nur zwei Forschungsbereiche der theoretischen Physik in Frage, die fundamental genug waren. Der eine war die Kosmologie, die Erforschung des sehr Großen, der andere die Teilchenphysik, die Erforschung des sehr Kleinen. Allerdings erschien mir die Teilchenphysik weniger interessant, weil sie damals, obwohl viele neue Teilchen entdeckt wurden, über keine angemessene Theorie verfügte, die sie beschrieb. Bestenfalls konnte man die Teilchen, wie in der Botanik, in Familien einordnen. In der Kosmologie dagegen gab es eine eindeutig definierte Theorie, Einsteins allgemeine Relativitätstheorie.

In Oxford arbeitete damals niemand auf dem Gebiet der Kosmologie. In Cambridge dagegen gab es Fred Hoyle, den bedeu-tendsten englischen Astronomen jener Zeit. Deshalb bewarb ich mich für einen Promotionskurs bei Hoyle. Meine Bewerbung für ein Forschungsstipendium in Cambridge wurde angenommen, doch zu meinem Kummer war mein Doktorvater nicht Hoyle, sondern ein Mann namens Dennis Sciama, von dem ich noch nie gehört hatte. Am Ende erwies sich dieser Umstand jedoch als sehr günstig. Hoyle war viel im Ausland, und ich hätte ihn wahrscheinlich nicht sehr häufig zu Gesicht bekommen.

Sciama dagegen war für uns da, und er war stets anregend, auch wenn ich oft nicht mit seinen Auffassungen übereinstimmte.

Da ich mich in der Schule und in Oxford nicht viel mit Mathematik befaßt hatte, fand ich die allgemeine Relativitätstheorie zunächst sehr schwierig und machte keine großen Fortschritte. Außerdem hatte ich während meines letzten Jahrs in Oxford bemerkt, daß ich in meinen Bewegungen recht unbeholfen wurde. Bald nachdem ich nach Cambridge gegangen war, diagnostizierte man bei mir ALS, amyotrophe Lateralsklerose. Weder wußten mir die Ärzte zu helfen, noch konnten sie

mir versichern, daß sich mein Zustand nicht verschlechtern würde.

Zunächst schien die Krankheit rasch voranzuschreiten. Ich sah wenig Sinn darin, meine Forschungen fortzuführen, weil ich nicht damit rechnete, lange genug zu leben, um meine Promotion abzuschließen. Doch dann schien sich der Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Ich begann die allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen und kam mit meiner Arbeit voran. Entscheidend war jedoch, daß ich mich mit einer Frau namens Jane Wilde verlobte, die ich etwa zur Zeit der Diagnose kennengelernt hatte.

Das gab mir einen Grund zu leben.

Wenn wir heiraten wollten, mußte ich eine Stellung finden, und um eine Stellung zu finden, mußte ich meine Promotion beenden. Deshalb begann ich zum erstenmal in meinem Leben richtig zu arbeiten. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß es mir gefiel. Vielleicht ist es nicht ganz ehrlich, es Arbeit zu nennen. Jemand hat einmal gesagt: Wissenschaftler und Prosti-tuierte werden dafür bezahlt, daß sie etwas tun, was ihnen Spaß macht.

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