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S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

fortzubewegen, aber die Raumzeitkrümmung in der Nähe der Sonne lenkt das Licht ferner Sterne ab, wenn die Bahn des Lichts nahe der Sonne verläuft. Normalerweise sind Sterne, die sich fast in Richtung der Sonne befinden, nicht zu sehen. Während einer Sonnenfinsternis jedoch, wenn der Mond den größten Teil des Sonnenlichts abfängt, kann man das Licht dieser Sterne beobachten. Einstein entwickelte seine allgemeine Relativitätstheorie während des Ersten Weltkriegs, als die Verhältnisse wissenschaftlichen Beobachtungen nicht sehr zuträglich waren, aber unmittelbar nach dem Krieg verfolgte eine britische Expedition in Westafrika die Sonnenfinsternis von 1919 und bestä-

tigte die Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie: Die Raumzeit ist nicht flach, sondern durch die in ihr enthaltene Materie und Energie gekrümmt.

Das war Einsteins größter Triumph. Diese Entdeckung führte zu einem grundlegenden Wandel in unseren Vorstellungen über Zeit und Raum. Seither sind sie kein passiver Hintergrund mehr, vor dem die Ereignisse stattfinden. Für uns ist es undenkbar geworden, daß Raum und Zeit ewig ablaufen, unberührt von den Geschehnissen im Universum. Jetzt sind sie dynamische Größen, die die in ihnen stattfindenden Ereignisse beeinflussen und von ihnen beeinflußt werden.

Zu den wichtigen Eigenschaften von Masse und Energie ge-hört, daß sie immer positiv geladen sind. Deshalb zieht die Schwerkraft Körper stets zueinander hin. So fesselt beispielsweise die Erde ihre Bewohner mit der Schwerkraft an sich, auch auf der jeweils gegenüberliegenden Seite des Globus. Diesem Umstand verdanken es die Menschen in Australien, daß sie nicht kopfüber ins All stürzen. Entsprechend hält die Schwerkraft der Sonne die Planeten in ihren Umlaufbahnen und hindert die Erde daran, sich in der Dunkelheit des interstellaren Raums zu verlieren. Der Umstand, daß die Masse stets positiv ist, bedeutet nach der allgemeinen Relativitätstheorie, daß die Raumzeit sich nach

innen krümmt, wie die Erdoberfläche. Wäre die Masse negativ, verliefe die Krümmung wie bei einem Sattel in entgegengesetzte Richtung. Diese positive Krümmung der Raumzeit, in der sich manifestiert, daß die Gravitation eine Anziehungskraft ist, emp-fand Einstein als großes Problem. Damals nahm man allgemein an, das Universum sei statisch, aber wenn der Raum und vor allem die Zeit in sich gekrümmt sind, wie kann dann das Universum, mehr oder weniger unverändert, auf ewig fortdauern?

Einsteins ursprüngliche Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie sagten vorher, daß das Universum entweder expandiert oder sich zusammenzieht. Deshalb führte er einen weiteren Term in die Gleichungen ein, die die Masse und Energie im Universum mit der Krümmung der Raumzeit in Beziehung setzen.

Diese sogenannte kosmologische Konstante hatte einen absto-

ßenden Gravitationseffekt. So war es möglich, die Massenanziehung der Materie durch die Abstoßung der kosmologischen Konstante auszugleichen. Mit anderen Worten, die negative Krümmung der Raumzeit, hervorgerufen durch die kosmologische Konstante, konnte die positive Krümmung aufheben, die durch die Masse und Energie im Universum hervorgerufen wird. Auf diese Weise ergab sich ein Modell des ewig im gleichen Zustand bleibenden Weltalls. Wäre Einstein bei seinen ursprünglichen Gleichungen geblieben, ohne die kosmologische Konstante einzuführen, hätte er die Expansion oder Kontraktion des Universums voraussagen können. So aber glaubte man allgemein an ein stationäres Weltall, bis 1929 Edwin Hubble entdeckte, daß sich ferne Galaxien von uns fortbewegen. Das Universum expandiert. Einstein hat den kosmologischen Term später «die größte Eselei meines Lebens» genannt.

Aber – ob mit oder ohne kosmologische Konstante – der Umstand, daß die Materie die Raumzeit veranlaßt, sich in sich selbst zu krümmen, blieb ein Problem, obwohl es nicht allgemein als solches erkannt wurde. Die Materie könnte nämlich eine Region

der Raumzeit so stark in sich krümmen, daß sie praktisch vom Rest des Universums abgeschnitten wäre. Die Region würde zu einem Schwarzen Loch werden. Objekte könnten in ein Schwarzes Loch zwar hineinfallen, aber nicht aus ihm entweichen. Um herauszukommen, müßten sie sich rascher bewegen als das Licht, was die Relativitätstheorie verbietet. Damit wäre die Materie im Innern des Schwarzen Loches gefangen und würde zu einem unbekannten Zustand von sehr hoher Dichte kollabieren.

Einstein war von den Konsequenzen dieses Kollapses zutiefst beunruhigt und weigerte sich, daran zu glauben. Doch Robert Oppenheimer zeigte 1939, daß ein alter Stern von mehr als der doppelten Masse unserer Sonne unter allen Umständen in sich zusammenstürzen müßte, wenn er seinen Kernbrennstoff erschöpft hat. Dann kam der Krieg dazwischen. Oppenheimer wirkte beim Bau der amerikanischen Atombombe mit und verlor das Interesse am Gravitationskollaps. Andere Physiker interes-sierten sich mehr für Phänomene, die man auf der Erde untersuchen konnte. Sie mißtrauten Vorhersagen über Vorgänge in den Weiten des Universums, weil sie sich allem Anschein nach nicht durch Beobachtung überprüfen ließen. Doch als in den sechziger Jahren erhebliche Verbesserungen in Reichweite und Qualität der astronomischen Beobachtungstechniken erzielt wurden, lebte das Interesse am Gravitationskollaps und an der Anfangsphase des Universums wieder auf. Was Einsteins allgemeine Relativitätstheorie für solche Situationen genau vorhersagte, blieb unklar, bis Roger Penrose und ich eine Reihe von Theoremen bewiesen. Wie diese zeigten, folgt aus der Krümmung der Raumzeit, daß es Singularitäten gibt, Örter, an denen die Raumzeit einen Anfang oder ein Ende hat. Sie hat vor ungefähr fünfzehn Milliarden Jahren im Urknall begonnen und endet für jeden Stern, der kollabiert, und für alles, was in das aus dem Sternkollaps resultierende Schwarze Loch fällt.

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