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S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

zu schreiben als uns zu unterrichten. Deshalb ließ er uns jeden Tag ein Kapitel aus der Bibel lesen und darüber einen Aufsatz schreiben. Damit wollte er uns die Schönheit der englischen Sprache vor Augen führen. Wir brachten die gesamte Schöp-fungsgeschichte und einen Teil des Auszugs aus Ägypten hinter uns, bevor wir wieder abreisten. Zu den wichtigsten Dingen, die ich dort gelernt habe, gehörte, daß man einen Satz nicht mit

«Und» beginnen soll. Ich wies darauf hin, daß die meisten Sätze in der Bibel mit «Und» begännen, und erfuhr, daß sich die englische Sprache seit den Zeiten von King James gewandelt habe.

Warum man uns dann in der Bibel lesen lasse, wollte ich wissen.

Aber das half uns nichts. Robert Graves schwärmte damals für die Symbolik und den Mystizismus der Bibel.

Als wir von Mallorca zurückkehrten, besuchte ich ein Jahr lang eine andere Schule und nahm dann an der sogenannten ele-ven-plus examination teil, einem staatlichen Intelligenztest, dem sich alle Kinder unterziehen mußten, die weiterführende Schulen besuchen wollten. Er ist später abgeschafft worden, vor allem weil zahlreiche Mittelschichtkinder durchfielen und dann keine Chance mehr hatten, einen Schulabschluß zu machen, der zum Studium berechtigte. Ich war in Tests und Prüfungen meist besser als in meinen Schulleistungen, deshalb bestand ich die Eleven-plus und bekam einen Platz an der St. Albans School.

Als ich dreizehn war, drängte mein Vater darauf, daß ich mich an der Westminster School bewarb, einer der angesehensten

«Public Schools», also Privatschulen, Englands. Damals war das Schulsystem noch von einem rigiden Klassendenken geprägt.

Mein Vater fühlte sich durch den Umstand, daß er keine der Oberschichtschulen hatte besuchen können und es ihm dadurch immer an Selbstsicherheit und Beziehungen gemangelt hatte, in seinem beruflichen Fortkommen behindert. Diese Erfahrung wollte er mir ersparen.

Meine Eltern waren nicht sehr wohlhabend, deshalb brauchte

ich ein Stipendium. Doch zur Zeit der Stipendienprüfungen war ich krank, so daß ich nicht an die Westminster School kam. Statt dessen blieb ich an der St. Albans School, wo ich eine ebenso gute, wenn nicht sogar bessere Ausbildung erhielt, als sie mir die Westminster School hätte bieten können. Meines Wissens ist mir mein Mangel an gesellschaftlichem Ansehen nie zum Nach-teil ausgelegt worden.

Das englische Schulsystem war damals streng hierarchisch ge-gliedert. Man unterschied nicht nur zwischen höheren und einfachen Schulen, sondern richtete an den höheren Schulen auch noch A-, B- und C-Kurse ein. Das war kein Problem für die Kinder im A-Kurs, wohl aber für die im B-Kurs und ganz besonders im C-Kurs, die man dadurch entmutigte. Auf Grund der Eleven-plus-Ergebnisse kam ich in den A-Kurs. Doch nach dem ersten Jahr wurden alle, die nicht zu den ersten zwanzig gehörten, dem B-Kurs zugeteilt. Das war ein schwerer Schlag für das Selbstbe-wußtsein der Betroffenen, von dem sich manche nie erholten. In den ersten beiden Trimestern an der St. Albans School wurde ich Vierundzwanzigster und Dreiundzwanzigster; im letzten Drit-tel des Jahres schaffte ich den achtzehnten Platz, so daß ich gerade noch einmal davonkam.

Ich bin nie über einen mittleren Platz in der Klasse hinausgekommen. (Es war eine sehr intelligente Klasse.) Meine Arbeiten machte ich sehr unordentlich, und mit meiner Handschrift brachte ich die Lehrer zur Verzweiflung. Doch meine Klassenka-meraden gaben mir den Spitznamen «Einstein», also sahen sie offenbar irgendwo Anlaß zur Hoffnung. Als ich zwölf war, wet-tete einer meiner Freunde mit einem anderen, daß aus mir nie etwas werden würde. Ich weiß nicht, ob die Wette je entschieden wurde, und wenn, wer sie gewonnen hat.

Ich hatte sechs oder sieben gute Freunde, und mit den meisten von ihnen stehe ich noch heute in Verbindung. Wir führten lange Diskussionen und Streitgespräche über Gott und die Welt

– von Radar bis Religion, von Parapsychologie bis Physik.

Unter anderem unterhielten wir uns auch darüber, wie das Universum entstanden sein könnte und ob Gott zu seiner Er-schaffung notwendig gewesen sei. Mir war zu Ohren gekommen, daß das Licht ferner Galaxien zum roten Ende des Spektrums hin verschoben wird und daß dies auf eine Expansion des Universums schließen lasse. (Eine Blauverschiebung würde bedeuten, daß es sich zusammenzieht.) Aber ich war mir sicher, es müsse irgendeinen anderen Grund für die Rotverschiebung geben. Vielleicht ermüdete das Licht auf dem Weg zu uns und wurde dadurch röter. Ein im wesentlichen statisches Weltall von ewiger Dauer erschien mir viel natürlicher. Erst nach zwei Jahren Promotionsforschung sah ich ein, daß ich unrecht gehabt hatte.

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