gewürgt wurde, aber doch nicht tot war. Möglicherweise war
sie imstande, den Zug auf ihren eigenen Beinen zu
verlassen.»
«Schwerlich ohne Hilfe», entgegnete Miss Marple. «Und
hätte jemand ihr geholfen, so wäre es bemerkt worden. Ein
Mann, der eine Frau stützt, die, wie er behauptet, krank ist,
fällt auf. »
18
Aber dieser Tag verging und auch der nächste. Erst am
Abend erhielt Miss Marple ein Schreiben von Sergeant Cornish.
In Bezug auf die Angelegenheit, die Sie mir vorgetragen
haben, möchte ich bemerken, daß Untersuchungen eingeleitet
wurden, die aber zu keinem Ergebnis geführt haben. Es
wurde keine Frauenleiche gefunden. In keinem Krankenhaus
wurde eine Frau, wie Sie sie beschrieben, eingelie fert. Und
es wurde auch keine Frau beobachtet, die an
einem Schock litt oder unwohl geworden war oder, ge-
stützt von einem Mann, einen Bahnhof verließ. Sie
dürfen überzeugt sein, daß die Nachforschungen mit allem
Ernst betrieben wurden. Ich bin der Meinung, daß Ihre
Freundin die von ihr beschriebene Szene beobachtet hat,
diese aber dann bedeutend weniger ernst war, als es den
Anschein hatte.
3
«Weniger ernst? Dummes Zeug!» meinte Mrs.
McGillicuddy. «Es war Mord!»
Sie blickte Miss Marple herausfordernd an. «Heraus mit
der Sprache, Jane», sagte Mrs. McGillicuddy. , sagte Miss Marple nachdenklich,
«daß du noch mehr tun kannst, als du schon getan hast.»
(Wenn Mrs. McGillicuddy genau auf den Tonfall, mit dem
ihre Freundin das sagte, geachtet hätte, dann wäre ihr
vielleicht aufgefallen, daß sie das Wort «du» leicht betont
hatte.) «Du hast berichtet, was du gesehen hast, du hast den
Vorfall der
20
Eisenbahn und der Polizei gemeldet. Wirklich, jetzt
kannst du nichts weiter tun.»
«Das ist in gewisser Hinsicht ein Trost», erwiderte Mrs.
McGillicuddy. «Ich werde nämlich unmittelbar nach Weihnachten,
wie du weißt, zu Roderick nach Ceylon fahren, und
ich habe wirklich nicht den Wunsch, diesen Besuch
aufzuschieben. Ich freue mich schon so lange darauf! Aber
natürlich würde ich hierbleiben, wenn ich es für meine
Pflicht hielte», fügte sie gewissenhaft hinzu.
«Daran zweifle ich nicht, Elsbeth. Aber, wie gesagt, meiner
Meinung nach hast du alles getan, was du tun konntest.»
«Es ist Sache der Polizei», bekräftigte Mrs.
McGillicuddy. «Und wenn die Polizei etwa zu dumm sein
sollte -»
Miss Marple schüttelte entschieden den Kopf.
«Oh, nein», sagte sie, «die Polizei ist nicht dumm. Und
das macht die Sache interessant, nicht wahr?»
Mrs. McGillicuddy blickte sie verständnislos an. Miss
Marple stellte im stillen wieder einmal fest, daß ihre Freundin
zwar eine Frau von klarem Verstand und ausgezeichneten
Grundsätzen war, aber keinen Funken Phantasie besaß.
«Man möchte doch gern wissen», fuhr sie fort, «was nun
eigentlich wirklich geschehen ist.»
«Die Frau wurde ermordet.»
«Ja, aber wer hat sie ermordet und warum, und was ist
aus der Leiche geworden. Daß die Polizei diesen Punkt noch
nicht zu klären vermochte, läßt doch darauf schließen, daß
der Mörder schlau ist – sehr schlau. Ich muß gestehen, ich
kann mir einfach nicht vorstellen, was er mit der Leiche
gemacht hat. Man kann, wie ich schon sagte, die Tote in eine
Ecke setzen, ihr Gesicht verbergen, so daß es den Anschein
erweckt, als schliefe sie, und dann selber so schnell wie