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Padington by Agatha Christie

«Halt gefälligst den Mund!» fuhr Mr. Crackenthorpe ihn

an.

Miss Marple schüttelte Bryan Eastley die Hand.

«Natürlich habe ich von Ihnen gehört>, sagte sie. «Von

Lucy. Wissen Sie auch, daß Sie mich sehr an jemanden erinnern,

den ich in St. Mary Mead gekannt habe? Es war

Ronnie Wells, der Sohn des Anwalts. Er ist doch nicht mit

Ihnen verwandt? Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend.»

«Nein», erwiderte Bryan. «Ich glaube nicht, daß ich Verwandte

namens Wells besitze.»

«Was für eine schöne Aussicht Sie haben!» wechselte

Miss Marple das Thema, indem sie ans Fenster trat und

hinausschaute.

Emma gesellte sich zu ihr.

«Was für ein weites Parkgelände! Wie malerisch sich die

Kühe von den Bäumen abheben! Man würde es sich nie

träumen lassen, daß man sich mitten in einer Stadt befindet.»

«Ja, wir sind wohl so eine Art Anachronismus», sagte

Emma. «Wären die Fenster offen, dann würden Sie in der

Ferne den Lärm des Verkehrs hören.»

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«Natürlich», sagte Miss Marple. «Überall ist Lärm, nicht

wahr? Selbst in St. Mary Mead. Wir wohnen in der Nähe

eines Flugplatzes. Es ist einfach gräßlich, wenn die Düsenjä –

ger über einen hinwegbrausen. Man zuckt jedesmal zusammen.

Neulich sind zwei Glasscheiben meines kleinen Treibhauses

zerbrochen. Die Flugzeuge durchbrachen die Schallmauer,

wie man mir sagte. Was das aber eigentlich bedeutet,

ahne ich nicht.»

«Die Sache ist ganz einfach», sagte Bryan liebenswürdig,

indem er auf sie zuschritt. «Sehen Sie, die Sache ist so . . .»

Miss Marple ließ ihre Handtasche fallen; Bryan bückte

sich und hob sie auf. Im selben Moment näherte sich Mrs.

McGillicuddy Emma und murmelte irgend etwas mit

schmerzlich verzogenem Gesicht. Das Gefühl, das in ihm

zum Ausdruck kam, war ganz echt. Denn Mrs. McGillicuddy

verabscheute von ganzem Herzen die Aufgabe, die ihr

zugewiesen war.

«Könnte ich wohl mal nach oben gehen?» fragte sie leise.

«Natürlich», erwiderte Emma.

«Ich zeige Ihnen den Weg», sagte Lucy.

Lucy und Mrs. McGillicuddy verließen zusammen das

Zimmer.

«Was nun die Schallmauer betrifft>, sagte Bryan, «so

liegt die Sache folgendermaßen… Hallo! Da kommt Dr.

Quimper!»

Der Doktor fuhr in seinem Wagen vor. Kurz darauf trat er

ein. Er sah sehr verfroren aus und rieb sich die Hände.

«Wir werden Schnee bekommen», sagte er. «Ich möchte

darauf wetten. Hallo, Miss Emma! Wie geht es Ihnen! Du

lieber Himmel! Was ist denn das?»

«Wir haben eine Geburtstagstorte für Sie gemacht>,

erwiderte Emma. «Wissen Sie noch, daß Sie mir gesagt

haben, Sie hätten heute Geburtstag?»

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«Aber das habe ich wirklich nicht erwartet», sagte Quimper.

«Wissen Sie, es ist Jahre her – ja, es sind mindestens

sechzehn Jahre, seitdem jemand an meinen Geburtstag gedacht

hat.»

Er machte ein verlegenes Gesicht. Er war sichtlich

gerührt, fühlte sich dabei aber nicht behaglich.

«Kennen Sie Miss Marple?» stellte Emma ihn vor.

«O ja», sagte Miss Marple. «Wir sind uns hier schon

begegnet, und als ich kürzlich eine häßliche Erkältung hatte,

war Doktor Quimper so freundlich, nach mir zu sehen.»

«Hoffentlich sind Sie wieder ganz gesund?» fragte der

Doktor.

Miss Marple versicherte, sie fühle sich wieder völlig in

Ordnung.

«Nach mir haben Sie in letzter Zeit nicht gesehen, Quimper

», bemerkte Mr. Crackenthorpe mißmutig. «Ich hätte ruhig

sterben können, so wenig haben Sie sich um mich

gekümmert.»

«Das dürfte noch gute Weile haben, bis ich Sie sterben

sehe», erwiderte Dr. Quimper.

«Ich habe auch nicht die Absicht>, sagte Mr. Crackenthorpe.

«Kommen Sie! Wir wollen unseren Tee nehmen.

Worauf warten wir noch?»

«O bitte», sagte Miss Marple schnell. «Warten Sie nicht

auf meine Freundin! Sie würde sich fürchterlich aufregen,

wenn Sie es täten.»

Sie setzten sich und langten zu. Miss Marple schien sich

für ein bestimmtes belegtes Brot zu interessieren.

«Ist es -?» fragte sie zögernd.

«Ja, es ist Fisch», sagte Bryan. «Ich habe geholfen, die

Brote zurechtzumachen.»

Mr. Crackenthorpe lachte spöttisch.

«Es ist vergiftete Fischpaste», sagte er. «Ich warne Sie.

Wenn Sie davon essen, tun Sie es auf eigene Gefahr.»

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«Aber bitte, Vater!»

«Sie müssen in diesem Hause sehr vorsichtig sein, wenn

Sie etwas essen», sagte Mr. Crackenthorpe zu Miss Marple.

«Zwei meiner Söhne wurden vergiftet und starben wie die

Fliegen. Wüßte ich nur, wer dahintersteckt!»

«Lassen Sie sich nicht abschrecken!» sagte Cedric, indem

er Miss Marple die Platte noch einmal anbot. «Wie man

sagt, verbessert etwas Arsenik das Aussehen. Es darf nur

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