gründliche Nachforschungen angestellt und trotzdem den
Umschlag nicht gefunden. Erst später, als die Nachforschungen
beendet waren, tauchte er im Kesselhaus auf.»
«Das ist leicht zu verstehen», meinte Craddock. «Der alte
Gärtner pflegte altes Papier, das irgendwo herumlag, dort
aufzubewahren, um es zu verbrennen.»
«Und daher war es sehr leicht für die Jungen, den Umschlag
zu finden», sagte Miss Marple nachdenklich.
«Sie meinen, er wurde in der Absicht dorthin gelegt, daß
wir ihn finden sollten?»
«Ich halte es für durchaus möglich. Man konnte sich
leicht ausrechnen, wo die beiden demnächst suchen würden,
man konnte es ihnen vielleicht sogar nahelegen. Ja, ich
mache mir so meine Gedanken. Der Fund veranlaßte Sie,
sich nicht weiter mit der Suche nach Anna Strawinska zu
befassen, nicht wahr?»
«Ja. Und Sie glauben, es ist wirklich Anna Strawinska,
die im Sarkophag gefunden wurde?»
«Ich denke nur, jemand bekam Angst, als Sie nach ihrem
Verbleib Nachforschungen anzustellen begannen. Ich denke,
dieser Jemand wünschte nicht, daß nach ihr gefahndet
würde.»
«Halten wir an der Grundtatsache fest, daß jemand die
Absicht gehabt hatte, als Martine aufzutreten, und dann aus
irgendeinem Grund Abstand davon nahm. Aus welchem
Grund aber?»
«Das ist eine sehr interessante Frage», meinte Miss
Marple.
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«Jemand schickte ein Telegramm, in dem es hieß,
Martine kehre nach Frankreich zurück, und fuhr dann mit
dem Mädchen nach Brackhampton, um sie unterwegs zu
töten. Sind Sie bis dahin einverstanden?»
«Nicht ganz», erwiderte Miss Marple. «Mir scheint, Sie
fassen die Sachlage nicht einfach genug auf.»
«Nicht einfach genug?» rief Craddock. «Sie machen
mich ja ganz konfus.»
Miss Marple sagte betrübt, das sei in gar keiner Weise
ihre Absicht.
«Heraus mit der Sprache!» sagte Craddock. «Glauben Sie
oder glauben Sie nicht, daß Sie wissen, wer die ermordete
Frau ist?»
Miss Marple seufzte.
«Es ist so schwierig», antwortete sie, «es richtig
auszudrük ken. Ich meine, ich weiß nicht, wer sie war. Aber
gleichzeitig glaube ich ziemlich sicher zu wissen, wer sie
war – wenn Sie verstehen, was ich meine.»
Craddock schüttelte den Kopf.
«Ich sollte verstehen, was Sie meinen? Ich habe nicht die
leiseste Ahnung.»
Er blickte durchs Fenster.
«Dort kommt Ihre Lucy Eyelesbarrow Sie besuchen»,
sagte er. «Ich gehe also. Mein Selbstbewußtsein ist heute
nachmittag sehr empfindlich, und eine junge Frau zu sehen,
der man die Tüchtigkeit und den Erfolg schon von weitem
anmerkt, ist mehr, als ich ertragen kann.»
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«Ich habe im Wörterbuch unter nachgelesen»,
sagte Lucy.
Sie wanderte ziellos im Zimmer umher und blieb bald
hier, bald da stehen, um zerstreut diese gehäkelte Decke oder
jene Nippfigur zu betrachten.
«Das hatte ich mir eigentlich gedacht», erklärte Miss
Marple.
Lucy zitierte: «Lorenzo Tonti, italienischer Bankier,
erfand im Jahre 1653 eine Art Rente, bei der die Anteile der
Unterzeichner nach ihrem Tod den Anteilen der
Überlebenden zugeschlagen werden.» Sie machte eine
Pause. «So ist es doch? Es paßt ausgezeichnet, und Sie
haben schon vor den beiden letzten Todesfällen daran
gedacht.»
Sie nahm wieder ihre ruhelose Wanderung auf. Miss
Marple beobachtete sie. Es war eine ganz andere Lucy
Eyelesbarrow als die, die sie bisher gekannt hatte.
«Es mußte eigentlich so kommen», ergriff Lucy wieder
das Wort. «Ein Testament, nach dem schließlich der einzige
Überlebende alles bekommen würde. Und doch – es handelt
sich ja um eine ansehnliche Menge Geld. Man sollte meinen,
es müßte immer noch genug sein, wenn es unter mehrere
verteilt würde . . .»
Wieder schwieg sie.
«Das schlimme isb>, sagte Miss Marple, «daß die
Menschen habgierig sind. Viele Menschen jedenfalls. So
fängt es oft an. Man beginnt nicht zu morden, weil man
gewünscht hat zu morden. Man denkt nicht einmal daran. Es
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fängt damit an, daß man habgierig ist und mehr zu haben
wünscht, als man bekommt.»
Sie ließ ihr Strickzeug in den Schoß sinken und starrte ins
Leere.
«Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich Inspektor Graddock
kennen. Es begann auf dieselbe Weise. Jemand mit
einem an sich durchaus liebenswürdigen Charakter trug Verlangen
nach einer großen Menge Geld, nach Geld, auf das er
keinen Anspruch hatte, das aber, wie es schien, leicht zu
bekommen war. An Mord dachte der Betreffende gar nicht.
Das Geld zu erbeuten schien sehr einfach und so leicht, daß
es eigentlich gar nicht einmal unrecht erschien, danach zu
streben. So fing es an. Und in diesem Fall endete es mit drei