«Und das war der Fall, wenn Familienmitglieder da waren?
»
167
«Ja. Und es schien ja auch durchaus verständlich. Aber,
offen gestanden, Inspektor, war ich nicht recht zufrieden. Ich
ging so weit, daß ich an den alten Dr. Morris schrieb. Er war
mein Seniorpartner gewesen und nun im Ruhestand. Crackenthorpe
war ursprünglich sein Patient. Ich fragte ihn nach
den früheren Anfällen, die der alte Mann gehabt hatte.»
«Und was antwortete Ihnen Dr. Morris?»
Quimper grinste:
«Er lachte mich aus. Ich solle doch kein verdammter Narr
sein. Nun» – er zuckte die Achseln – «vermutlich war ich
tatsächlich ein verdammter Narr.»
«Wirklich?»
Craddock entschloß sich, offen zu sprechen.
«Wir wollen einmal die Diskretion beiseite lassen,
Doktor. Es gibt Leute, die beträchtliche Vorteile zu erwarten
haben, wenn Luther Crackenthorpe stirbt.» Der Doktor
nickte. «Er ist zwar ein alter Mann, aber verhältnismäßig
gesund. Er könnte neunzig werden, nicht wahr?»
«Leicht. Er tut ja nichts weiter, als für seine Gesundheit
zu sorgen, und seine Konstitution ist ausgezeichnet.»
«Und seine Söhne und seine Tochter fühlen alle den
Druck?»
«Lassen Sie Emma aus dem Spiel! Sie ist keine
Giftmischerin! Im übrigen kommt es zu diesen Anfällen nur,
wenn die andern da sind, nicht wenn sie mit ihm allein ist.»
Das wäre nur eine elementare Vorsichtsmaßnahme – falls
sie die Schuldige ist, dachte der Inspektor bei sich.
«Dann kann man wohl sagen – ich bin ein Laie auf
diesem Gebiet -, daß, angenommen, es wurde ihm wirklich
Arsenik eingegeben, Crackenthorpe viel Glück gehabt hat?»
«Sehen Sie», erwiderte der Arzt, «da sprechen Sie einen
merkwürdigen Punkt an. Es ist nämlich offenbar nicht so,
daß ihm regelmäßig kleine Dosen Arsenik zugeführt wurden
– wie es ja bei der Methode der Arsenikvergif-
168
tung der Fall zu sein pf legt. Crackenthorpe hat niemals chronische
gastrische Störungen gehabt. Das aber macht gewissermaßen
diese plötzlichen heftigen Attacken verdächtig.
Nehmen wir also an, sie erklären sich nicht aus natürlichen
Ursachen, dann muß der Giftmischer jedesmal pfuschen
-und das wäre doch einfach unbegreiflich.»
«Sie meinen, daß er eine ungenügende Dosis gibt?»
«Ja. Andererseits hat Crackenthorpe eine kräftige Konstitution,
und was für einen andern Mann tödlich wäre, braucht
ihn darum noch lange nicht umzuwerfen. Man sollte aber
meinen, der Giftmischer müsse nach und nach – es sei denn,
er sei ungewöhnlich ängstlich – die Dosis gesteigert haben.
Warum hat er das nicht getan?»
«Das heißt>, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu,
«wenn tatsächlich ein Giftmischer am Werk wäre, und das
ist eben wahrscheinlich doch nicht der Fall. Wahrscheinlich
ist einfach meine Phantasie mit mir durchgegangen.»
«Es ist ein merkwürdiges Problem», stimmte der
Inspektor zu. «Man sucht vergebens nach einem Sinn.»
«Inspektor Craddock!» flüsterte es aufgeregt.
Der Inspektor zuckte zusammen. Er hatte gerade an der
Wohnungstür läuten wollen.
Alexander und sein Freund Stoddart-West traten, sich
vorsichtig nach allen Seiten umblickend, aus dem Schatten.
«Wir hörten Ihren Wagen. Wir müssen mit Ihnen sprechen.
»
«Schön! Dann kommt herein!»
Craddock streckte wieder die Hand nach der Klingel aus,
Alexander aber zupfte mit dem Eifer eines Hündchens, das
spielen möchte, an seinem Mantel.
«Wir haben ein Indiz gefunden», stieß er atemlos hervor.
«Ja, wir haben eins gefunden!» echote Stoddart-West.
Dieses verteufelte Mädchen! dachte Craddock.
169
«Famos!» sagte er ohne großes Interesse. «Gehen wir ins
Haus und sehen es uns an!»
«Nein!» beharrte Alexander. «Sicher stört uns dort
jemand. Kommen Sie mit in die Geschirrkammer! Wir
zeigen Ihnen den Weg.»
Etwas widerstrebend ließ Craddock sich um die Ecke des
Hauses führen und folgte den Jungen zu den Stallungen.
Stoddart-West stieß eine schwere Tür auf, reckte den Arm
und schaltete eine sehr schwache Glühbirne ein. Die Geschirrkammer,
einst ein Glanzstück von Rutherford Hall,
war jetzt der melancholische Aufbewahrungsort für alles,
was man los sein wollte. Zerbrochene Gartenstühle,
verrostete alte Werkzeuge, eine riesige, nicht mehr zu
gebrauchende Mähmaschine, vom Rost zerfressene
Spiralfedern, Hängematten und zerlöcherte Tennisnetze.
«Wir kommen ziemlich oft hierher», sagte Alexander.
«Man ist hier ganz ungestört.»
«Es ist ein wirkliches Indiz, Sir>, sagte Stoddart-West
mit funkelnden Augen. «Wir haben es heute nachmittag
gefunden.»
«Die ganzen letzten Tage haben wir nach Spuren gesucht.
In den Büschen -»
«Und in den hohlen Bäumen -»
«Und wir haben die Müllkästen durchwühlt -»
«Und dann gingen wir ins Dampfkesselhaus -»
«Der alte Hillmann hat dort einen großen Zuber aufgestellt,