Padington by Agatha Christie

nur? War es vielleicht nur ein Bild in der Zeitung gewesen?

Jedenfalls war es keine angenehme Erinnerung. Er fragte

Alfred nach seinem Beruf.

«Ich bin momentan im Versicherungsgeschäft tätig. Vor

kurzem interessierte ich mich für die Lancierung eines neuen

Sprechmaschinentyps. Eine umwälzende Erfindung. Habe

sehr gut daran verdient.»

Inspektor Craddock hörte ihm verständnisvoll zu, jedenfalls

schien es so. Niemand hätte ahnen können, daß er

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aufmerksam den anscheinend eleganten Anzug Alfreds betrachtete

und ziemlich genau abschätzte, wie wenig er gekostet

hatte. Cedrics Sachen waren abgetragen gewesen, aber

von erstklassigem Material und ursprünglich gut geschnit ten.

Hier aber sah man eine billige Eleganz, die für sich selber

sprach. Craddock ging zu den routinemäßigen Fragen über.

Alfred schien interessiert zu sein, vielleicht sogar etwas

amüsiert.

«Es ist durchaus möglich, daß die Frau hier einmal

beschäftigt gewesen ist – nicht als Kammerjungfer, denn ich

bezweifle, daß meine Schwester jemals etwas dergleichen

gehabt hat. Vielleicht ist das heute überhaupt nicht mehr

üblich. Aber natürlich gibt es eine Menge Hausarbeit, bei der

fremde Hilfe benötigt wird. Da aber Emma die Frau nicht

wiedererkannt hat, dürfte diese Annahme nicht mehr in

Frage kommen, Inspektor, denn Emma hat ein sehr gutes

Gedächtnis für Gesichter. Wenn diese Frau aus London kam

. . . weshalb vermuten Sie übrigens, daß das der Fall war?»

Er flocht diese Frage ganz beiläufig ein, seine Augen

aber verrieten, daß ihn die Antwort sehr interessierte.

Inspektor Craddock schüttelte lächelnd den Kopf.

Alfred blickte ihn scharf an.

«Sie wollen es wohl nicht sagen? Vielleicht befand sich

eine Rückfahrkarte in ihrer Tasche. Ist es das?»

«Es könnte sein, Mr. Crackenthorpe.»

«Nun, nehmen wir an, sie kam aus London, dann hat der

Mann, den sie hatte treffen wollen, vielleicht gedacht, der

eigne sich eigentlich vortrefflich für

einen Mord, bei dem man natürlich jedes Aufsehen

vermeiden möchte. Offenbar weiß er hier gut Bescheid. Ich

an Ihrer Stelle, Inspektor, würde nach ihm Ausschau halten.»

«Das tun wir ja», erwiderte Inspektor Craddock ruhig. Er

dankte Alfred und entließ ihn.

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«Wissen Sie», sagte er zu Bacon, «ich habe diesen Mann

schon irgendwo gesehen . . .»

Inspektor Bacon äußerte seine Meinung:

«Ein scharfer Hund – so scharf, daß er sich manchmal ins

eigene Fleisch schneidet.»

«Ich glaube zwar nicht, daß Sie mich zu sehen

wünschen», sagte Bryan Eastley entschuldigend, indem er

unschlüssig in der Tür zur Bibliothek stehenblieb, «ich

gehöre nämlich im Grunde genommen nicht zur Familie. . .»

«Sie sind doch, wenn ich nicht irre, Mr. Bryan Eastley,

der Gatte der verstorbenen Edith Crackenthorpe?»

«Ganz recht.»

«Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie von sich aus

kommen, Mr. Eastley. Ich nehme an, Sie wissen etwas und

können uns in irgendeiner Weise helfen?»

«Leider nicht. Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Die

ganze Geschichte ist verflixt merkwürdig, finden Sie nicht

auch? Die Frau kommt hierher und trifft sic h, mitten im

Winter, mit irgend jemandem in diesem zugigen Schuppen.

Wäre nicht mein Geschmack.»

«Ja, das ist wirklich merkwürdig», stimmte Inspektor

Craddock zu.

«Ist es wahr, daß sie eine Ausländerin war? Ich habe so

etwas gehört.»

«Bringt diese Tatsache Sie auf eine bestimmte Vermutung?

»

Der Inspektor beobachtete ihn scharf. Bryan aber zuckte

nur liebenswürdig lächelnd die Schultern.

«Nein», erwiderte er. «Könnte ich nicht sagen.»

«Vielleicht war sie eine Französin», bemerkte Inspektor

Bacon mit düsterer Stimme, als käme ihm das besonders

verdächtig vor.

Bryan machte ein interessiertes Gesicht.

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«Wirklich? Aus Paris?» Er schüttelte den Kopf.

«Eigentlich wird dann alles noch unwahrscheinlicher.

Finden Sie nicht? Ich meine, daß sie dann in dem Schuppen

ein Rendezvous gehabt haben sollte. Hatten Sie übrigens

schon einmal einen ähnlichen Fall, wo ein Mörder sein

Opfer in einem Sarkophag versteckte? Vielleicht ist es ein

Mensch mit einem anormalen Triebleben? Er könnte einen

Komplex haben, hält sich vielleicht für Caligula oder so

was?»

Inspektor Craddock ging auf diesen Punkt nicht weiter

ein. Statt dessen fuhr er wie beiläufig fort:

«Es hat wohl niemand von der Familie Beziehungen nach

Frankreich? Oder leben dort Verwandte, die Sie kennen?»

«Nicht daß ich wußte», sagte Bryan. «Harold ist ehrbar

verheiratet mit der Tochter eines verarmten Peers. Alfred

macht sich, soviel ich weiß, nicht viel aus Frauen. Tut nichts

anderes als dunkle Geschäfte betreiben, die für gewöhnlich

schieflaufen. Und Cedric? Ich vermute, er hat auf Ibiza ein

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