S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Der Umstand, daß Einsteins allgemeine Relativitätstheorie

Singularitäten vorhersagte, löste eine Krise in der Physik aus.

Die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie, die eine Relation zwischen der Krümmung der Raumzeit und der Verteilung von Masse und Energie herstellen, lassen sich an einer Singularität nicht definieren. Dies bedeutet, daß sie nicht vorhersagen können, was aus einer Singularität wird. Insbesondere kann die allgemeine Relativitätstheorie keine Angaben darüber machen, wie das Universum im Urknall beginnen könnte. Damit ist sie keine vollständige Theorie. Sie braucht eine Ergänzung, um zu bestimmen, wie das Universum begann und was geschieht, wenn Materie unter dem Einfluß ihrer eigenen Schwerkraft in sich zusammenfällt.

Die erforderliche Ergänzung scheint die Quantenmechanik zu sein. 1905, im gleichen Jahr, in dem Einstein seinen Aufsatz über die spezielle Relativitätstheorie schrieb, veröffentlichte er auch eine Arbeit über ein Phänomen, das man den Photoeffekt nennt.

Man hatte beobachtet: Wenn Licht auf bestimmte Metalle trifft, werden geladene Teilchen abgestrahlt. Verblüffend war die Tatsache, daß bei einer Reduzierung der Lichtstärke sich zwar die Anzahl der emittierten Teilchen verringert, die Geschwindigkeit jedoch, mit der jedes Teilchen emittiert wird, gleich bleibt. Dies läßt sich, wie Einstein zeigte, dadurch erklären, daß das Licht nicht in kontinuierlich schwankenden Mengen eintrifft, wie jeder damals annahm, sondern in Paketen von bestimmter Größe.

Die Idee, daß Licht nur in Paketen abgestrahlt wird, sogenannten Quanten, war einige Jahre zuvor von Max Planck vorgebracht worden. Der Gedanke ähnelt ein wenig der Feststellung, man könne Zucker im Supermarkt nicht lose kaufen, sondern nur in Kilotüten. Mit Hilfe des Quantenkonzepts hatte Planck erklärt, warum ein rotglühendes Metallstück nicht eine unendliche Wär-memenge abgibt, aber er hielt die Quanten nur für einen theoretischen Trick, der nichts mit der physikalischen Wirklichkeit zu tun hat. Doch Einstein zeigte in seinem Aufsatz, daß man

einzelne Quanten direkt beobachten kann. Jedes emittierte Teilchen entspricht einem Lichtquantum, welches auf das Metall trifft. Man hat dieser Erkenntnis weithin große Bedeutung für die Quantentheorie zugeschrieben, und Einstein erhielt 1922 für sie den Nobelpreis. (Eigentlich hätte er diesen Preis für die allgemeine Relativitätstheorie bekommen müssen, doch die Vorstellung, Raum und Zeit seien gekrümmt, galt noch als zu spekulativ und umstritten. So erkannte man ihm den Preis für Arbeit über den Photoeffekt zu – die sicherlich auch einen Nobelpreis wert ist.)

Die volle Bedeutung des Photoeffekts erkannte man erst 1925, als Werner Heisenberg darlegte, daß es infolge dieses Effekts unmöglich sei, den Ort eines Teilchens genau zu messen.

Um zu erkennen, was es mit einem Teilchen auf sich hat, muß man es mit Licht bestrahlen. Nun hatte Einstein gezeigt, daß sich dazu nicht beliebig kleine Lichtmengen verwenden lassen; man braucht mindestens ein Paket oder Quantum. Ein solches Lichtpaket wirkt aber auf das Teilchen ein und veranlaßt es, sich mit irgendeiner Geschwindigkeit in irgendeine Richtung zu bewegen. Je genauer man den Ort des Teilchens messen möchte, desto mehr Energie muß man aufwenden und desto stärker wird man folglich das Teilchen stören. Wie auch immer man das Teilchen zu messen versucht – das Produkt aus der Unbestimmtheit seines Ortes und der Unbestimmtheit seiner Geschwindigkeit wird immer größer sein als ein bestimmter Minimalwert.

Dieses Heisenbergsche Unbestimmtheitsprinzip, auch Unschärferelation genannt, zeigt, daß man den Zustand eines Systems nicht exakt messen kann. Folglich läßt sich nicht genau vorhersagen, wie es sich in der Zukunft verhalten wird. Nur die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Ergebnisse kann man vorhersagen. Dieses Zufallselement hat Einstein sehr beunruhigt.

Er weigerte sich zu glauben, daß es physikalische Gesetze gibt,

die keine klare, eindeutige Aussage über künftige Ereignisse machen. Doch wie man es auch wendet, alle Anhaltspunkte sprechen dafür, daß das Quantenphänomen und das Unbestimmtheitsprinzip unvermeidlich sind und in allen Bereichen der Physik auftreten.

Einsteins allgemeine Relativitätstheorie gehört zu den sogenannten klassischen Theorien. Das heißt, sie kommt ohne das Unbestimmtheitsprinzip aus. Deshalb gilt es, eine neue Theorie zu entwickeln, die die allgemeine Relativitätstheorie mit dem Unbestimmtheitsprinzip verbindet. In den meisten Situationen wird der Unterschied zwischen dieser neuen Theorie und der klassischen allgemeinen Relativität sehr gering sein, denn die auf Quanteneffekte zurückzuführende Unbestimmtheit ist, wie erwähnt, nur in sehr kleinen Größenordnungen gültig, während die allgemeine Relativitätstheorie die großräumige Struktur der Raumzeit beschreibt. Nun zeigen aber die von Roger Penrose und mir bewiesenen Singularitätstheoreme, daß sich die Raumzeit auch in sehr kleinen Größenordnungen extrem krümmen kann. In diesen Fällen spielen die Effekte des Unbestimmtheitsprinzips eine entscheidende Rolle und scheinen zu bemerkenswerten Resultaten zu führen.

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