S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

Das ist die Quantengravitation. Noch wissen wir nicht genau, wie eine korrekte Theorie der Quantengravitation aussehen müßte. Der beste Kandidat, den wir im Augenblick haben, ist die Superstring-Theorie, die aber noch eine Menge ungelöster Schwierigkeiten ausweist. Doch bestimmte Eigenschaften darf man von jeder brauchbaren Theorie erwarten. Zu ihnen gehört Einsteins Idee, daß die Gravitationseffekte sich durch eine Raumzeit darstellen lassen, die durch die in ihr enthaltene Materie und Energie gekrümmt oder verzerrt ist. In diesem gekrümmten Raum versuchen Objekte Bahnen zu folgen, die

einer Geraden so nahe wie möglich kommen. Doch infolge der Verwerfungen scheinen ihre Bahnen gekrümmt zu sein, als seien sie dem Einfluß eines Gravitationsfeldes unterworfen.

Ein weiteres Element, das wir in der endgültigen Theorie erwarten dürfen, ist Richard Feynmans Vorschlag, die Quantentheorie als Auf summierung von Möglichkeiten zu formulieren.

Das heißt, sehr einfach ausgedrückt, daß jedes Teilchen in der Raumzeit jeden möglichen Weg beziehungsweise jede mögliche Geschichte hat. Jedem Weg, jeder Geschichte kommt ihrerseits eine Wahrscheinlichkeit zu, die von der Form des Weges abhängt.

Allerdings läßt sich dieses Konzept nur anwenden, wenn man Geschichten wählt, die in der imaginären Zeit stattfinden und nicht in der realen Zeit, in der wir uns selbst wahrnehmen. Imaginäre Zeit mag sich ein wenig nach Science-fiction anhören, aber sie ist ein genau definierter mathematischer Terminus. Man kann sie sich in gewisser Weise als eine Zeitrichtung vorstellen, die rechtwinklig zur realen Zeit verläuft. Die Wahrscheinlichkeiten aller Teilchengeschichten mit bestimmten Eigenschaften, etwa daß sie zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Örter passieren, werden aufsummiert. Das Ergebnis muß dann auf die reale Raumzeit, in der wir leben, rückextrapoliert werden. Dies ist nicht gerade ein vertrautes Verfahren in der Quantentheorie, führt aber zu den gleichen Ergebnissen wie andere Methoden.

Im Falle der Quantengravitation würde Feynmans Idee einer Aufsummierung von Möglichkeiten bedeuten, daß man verschiedene mögliche Geschichten für das Universum aufsummiert, das heißt verschiedene gekrümmte Raumzeiten. Diese würden die Geschichte des Universums und aller in ihm enthaltenen Objekte repräsentieren. Dabei müßte man angeben, welche Klasse möglicher gekrümmter Räume in die Aufsummierung von Möglichkeiten einbezogen werden soll. Von der Wahl dieser Klasse von Räumen hinge ab, in welchem Zustand sich das Universum befindet. Wenn die Klasse von gekrümmten Räumen, die

den Zustand des Universums definiert, Räume mit Singularitä-

ten einbezöge, würden die Wahrscheinlichkeiten solcher Räume von der Theorie nicht bestimmt, sondern müßten auf irgendeine willkürliche Art zugeordnet werden. Das heißt, die Wissenschaft könnte die Wahrscheinlichkeiten für solche singulären Geschichten der Raumzeit nicht vorhersagen. Ihr wäre es also nicht möglich vorherzusagen, wie sich das Universum verhält.

Doch möglicherweise ist der Zustand, in dem sich das Universum befindet, durch eine Summe definiert, die nur nichtsinguläre gekrümmte Räume einschließt. In diesem Falle würden die Naturgesetze das Universum vollständig bestimmen. Um festzulegen, wie es begonnen hat, müßte man nicht mehr auf eine Instanz außerhalb des Universums rekurrieren. In gewisser Weise ähnelt der Versuch, den Zustand des Universums durch eine Aufsummierung von ausschließlich nichtsingulären Geschichten zu bestimmen, den Bemühungen eines Betrunkenen, der seinen Schlüssel unter einer Laterne sucht: Dort hat er ihn möglicherweise nicht verloren, aber es ist der einzige Ort, an dem er ihn finden kann. Entsprechend ist das Universum vielleicht nicht in einem Zustand, der durch eine Aufsummierung von nichtsingulären Möglichkeiten definiert ist, aber es ist der einzige Zustand, in dem die Wissenschaft vorhersagen kann, wie das Universum sein müßte.

1983 haben Jim Hartle und ich vorgeschlagen, den Zustand des Universums durch die Aufsummierung einer bestimmten Klasse von Möglichkeiten anzugeben. Diese Klasse besteht aus gekrümmten Räumen ohne Singularitäten, die eine endliche Größe haben, aber keine Grenzen oder Ränder. Sie sind wie die Oberfläche der Erde, nur daß sie zwei Dimensionen mehr besitzen. Die Erdoberfläche ist von endlicher Ausdehnung, weist aber keine Singularitäten, Grenzen oder Ränder auf. Das habe ich empirisch überprüft. Ich bin um den Planeten gereist, ohne hin-unterzufallen.

Die Hypothese, die Hartle und ich vorgeschlagen haben, läßt sich wie folgt umschreiben: Die Grenzbedingung des Universums ist, daß es keine Grenze hat. Nur wenn sich das Universum in diesem Keine-Grenzen-Zustand befindet, legen die Naturgesetze aus eigener Kraft die Wahrscheinlichkeiten für jede mögliche Geschichte fest. Nur in diesem Fall also könnten die bekannten Gesetze das Verhalten des Universums bestimmen.

Befindet sich das Universum in irgendeinem anderen Zustand, so schließt die Klasse gekrümmter Räume in der Aufsummierung von Möglichkeiten Räume mit Singularitäten ein. Um die Wahrscheinlichkeiten solcher singulären Geschichten zu bestimmen, müßte man sich auf ein Prinzip berufen, das nicht zu den bekannten Naturgesetzen gehört. Dieses Prinzip läge außerhalb unseres Universums. Befände sich das Universum hingegen im Keine-Grenzen-Zustand, könnten wir im Prinzip vollständig bestimmen, wie sich das Universum verhalten müßte – innerhalb der Grenzen des Unbestimmtheitsprinzips.

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