S t e p h e n W. H a w k i n g. E i n s t e i n s T r a u m

1973 begann ich zu untersuchen, welche Bedeutung das Unbestimmtheitsprinzip für Schwarze Löcher hat. Zu meiner gro-

ßen Überraschung – und der aller anderen auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler – stellte ich fest, daß Schwarze Löcher gar nicht vollständig schwarz sind. Sie müssen in stetiger Rate Strahlung und Teilchen emittieren. Die Ergebnisse meiner Untersuchung stießen auf allgemeine Skepsis, als ich sie auf einer Konferenz in der Nähe Oxfords bekanntgab. Der Leiter der Tagung erklärte sie für kompletten Unsinn und schrieb einen Artikel, in dem er sich entsprechend äußerte. Doch als andere meine Berechnungen wiederholten, stießen sie auf den gleichen Effekt. Am Ende mußte auch der Konferenzleiter zugeben, daß ich recht hatte.

Wie kann Strahlung aus dem Gravitationsfeld eines Schwar-

zen Loches entweichen? Es gibt eine Reihe von Wegen, diesen Vorgang zu verstehen. Sie scheinen sehr verschieden zu sein, sind aber letztlich alle äquivalent. Eine Antwort lautet, daß sich Teilchen nach dem Unbestimmtheitsprinzip über eine kurze Strecke rascher als das Licht fortbewegen können. Das ermöglicht Teilchen und Strahlung, den Ereignishorizont zu durchqueren und dem Schwarzen Loch zu entkommen. Also gibt es doch Dinge, die aus dem Schwarzen Loch hinausgelangen können. Doch was aus einem Schwarzen Loch herauskommt, unterscheidet sich von dem, was hineingefallen ist. Nur die Energie wird die gleiche sein.

Wenn ein Schwarzes Loch Teilchen und Strahlung abgibt, verliert es an Masse. Das hat zur Folge, daß das Schwarze Loch kleiner wird und Teilchen rascher emittiert. Schließlich wird seine Masse null, und es verschwindet vollständig. Was geschieht dann mit Objekten, zum Beispiel Raumschiffen, die in das Schwarze Loch gefallen sind? Nach den Untersuchungen, mit denen ich mich in jüngerer Zeit befaßt habe, würden sie in kleinen, eigenständigen Baby-Universen landen. Ein kleines, in sich geschlossenes Universum zweigt von unserer Region des Universums ab. An anderer Stelle kann sich das Baby-Universum wieder mit unserer Raumzeitregion verbinden. Wenn das der Fall ist, würde es uns als ein weiteres Schwarzes Loch erscheinen, das sich bildet und später verdunstet. Teilchen, die in das eine Schwarze Loch fielen, würden in dem anderen als von ihm emittierte Partikel wiederauftauchen und umgekehrt.

Das hört sich genau nach den Voraussetzungen an, die erforderlich sind, um Raumfahrten durch Schwarze Löcher zu er-möglichen. Sie steuern Ihr Raumschiff einfach in ein geeignetes Schwarzes Loch hinein. Suchen Sie sich besser ein großes aus, sonst verarbeiten die Gravitationskräfte Sie schon zu Spaghetti, bevor Sie in sein Inneres gelangt sind. Dann können Sie nur

noch hoffen, in einem anderen Loch wiederaufzutauchen, allerdings können Sie nicht wählen, in welchem.

Leider hat dieser Entwurf eines intergalaktischen Beförde-rungssystems einen Haken. Die Baby-Universen, die die in das Loch fallenden Teilchen aufnehmen, bilden sich in der sogenannten imaginären Zeit. In der realen Zeit würde auf einen Astronauten, der in ein Schwarzes Loch fiele, ein scheußliches Ende warten. Er würde durch die unterschiedlichen Gravitationskräfte, die auf seinen Kopf und seine Füße einwirken, in Stücke gerissen werden. Selbst die Teilchen, aus denen sein Körper besteht, würden nicht überleben. Ihre Geschichten würden in der realen Zeit an einer Singularität enden. Dagegen würden die Geschichten dieser Teilchen in der imaginären Zeit fortdauern. Sie würden in das Baby-Universum hinüberwechseln und als von einem anderen Schwarzen Loch emittierte Partikel wiederauftauchen. In diesem Sinne würde der Astronaut in eine andere Region des Universums befördert werden. Doch die Teilchen, die dort auftauchen, hätten kaum noch große Ähnlichkeit mit ihm. Auch die Gewißheit, daß seine Teilchen in der imaginä-

ren Zeit überlebten, wäre wohl kein großer Trost für ihn, wenn er in der realen Zeit an eine Singularität geriete. Das Motto für jeden, der in ein Schwarzes Loch fiele, müßte lauten: Denk imaginär!

Wodurch wird bestimmt, wo die Teilchen wiederauftauchen ?

Die Zahl der Teilchen im Baby-Universum wird gleich der Zahl der Teilchen sein, die in das Schwarze Loch gefallen sind, plus der Zahl der Teilchen, die das Schwarze Loch während seiner Verdunstung emittiert. Das heißt, die Teilchen, die in ein Schwarzes Loch fallen, kommen aus einem anderen Loch von ungefähr der gleichen Masse wieder hervor. So könnte man versuchen festzulegen, wo die Teilchen herauskommen, indem man ein Schwarzes Loch erzeugte, das die gleiche Masse hätte wie das, in dem die Teilchen verschwunden sind. Doch es könnte

genausogut sein, daß das Schwarze Loch andere Arten von Teilchen mit der gleichen Gesamtenergie abgäbe. Selbst wenn das Schwarze Loch die richtigen Teilchen emittieren würde, ließe sich nicht entscheiden, ob es wirklich die Teilchen wären, die im anderen Schwarzen Loch verschwunden sind. Teilchen haben keinen Personalausweis: Alle Teilchen einer bestimmten Art sehen gleich aus.

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